So banal kann ein Mord sein: «Ich schlug, ich schlug, ich schäme mich nicht, es zu schildern – so schlug ich …» Dieses Bekenntnis macht Semjon Semjonowitsch Golubtschik in einem heruntergekommenen Pariser Emigrantenlokal eines Nachts in der Zwischenkriegszeit. Der Mann, ein ehemaliger Zaristen-Spitzel, gesteht, dass er zwei Tote, seine Geliebte und seinen Nebenbuhler, hinterlassen hat – oder auch nicht. Das ist das Geheimnis dieser ungewöhnlichen Geschichte.
Viel Schnaps treibt die Beichte an
«Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht» des österreichisch-ungarischen Autors Joseph Roth (1894–1939) ist der aufwühlende Lebensbericht eines Ex-Agenten. Der Roman ist auch zeitgeschichtliches Zeugnis aus dem Milieu der Emigranten, die Russland in den Wirren rund um die Revolution verlassen mussten.
Roth hat die titelgebende Beichte in eine Rahmenhandlung gepackt. Der Ich-Erzähler macht die Bekanntschaft mit dem Russen Golubtschik in einer Bar. Angetrieben von viel Schnaps, beginnt dieser zu berichten, wie er als illegitimer Sohn eines Fürsten in der zaristischen Provinz aufwuchs, wie ihm ein korrupter Ungare und ein angeblicher Halbbruder zum Verhängnis wurden. Diese Geschichte ist nun in einer sinnlich gebundenen Ausgabe mit berührenden Skizzen des Zeichners Klaus Waschk neu erschienen.
Joseph Roth war ein begnadeter Erzähler. Seine Romane wurden zu Klassikern der deutschen Literatur in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts: Etwa «Radetzkymarsch» über das Ende der Habsburger Doppelmonarchie oder «Die hundert Tage», die von der Flucht Napoleons aus Elba und der Schlacht von Waterloo handeln.
Bei den Zaren entschieden die Launen der Mächtigen
Roth wuchs im galizischen «Schtetl» Brody auf. Der erfolglose Kaufmann meldete sich nach anfänglich pazifistischem Zögern freiwillig im Ersten Weltkrieg. Später schlug er sich als Journalist durch, unter anderem für die «Frankfurter Zeitung» und die sozialistische Zeitung «Vorwärts». Roth floh nach der Machtergreifung der NSDAP nach Paris. Er hatte eine unglückliche Ehe; seine erste Frau Friedl verfiel einer Geisteskrankheit. Seine weiteren Beziehungen litten unter Streitereien und vor allem Alkohol-Exzessen.
In der «Beichte» verwebt er viel Zeitgeist. So sinniert sein Held Golubtschik über die Unterschiede zwischen dem Zarenregime und den Sowjets. Bei den Zaren entscheiden die Launen der Mächtigen über das Schicksal, bei den Sowjets die Gesetze: «Aber die Launen waren fast eher berechenbar als die Gesetze. Und auch Gesetze sind von Launen abhängig …»
Die Wendungen des Schicksals bringen Roths Helden nach Leningrad, wo dieser für den zaristischen Geheimdienst arbeitet. Er erhält die lustvolle Aufgabe, Pariser Modemodelle zu überwachen, und verliebt sich in eine der Damen, die reizende Lutetia. Sie erweist sich indes als leichtlebig und ziemlich exzentrisch mit einem fürchterlichen Papagei als Kompagnon. Auch der scheint sich mit allen andern gegen den Helden verschworen zu haben. Es gibt für ihn anscheinend nur eine Lösung.
Buch
Joseph Roth
Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht
Mit Illustrationen von Klaus Waschk
(Faber & Faber 2019)