Ein unglücklicher Schneeballwurf bringt die Geschichte ins Rollen. Am 27. Dezember 1908 zielt der junge Lümmel Percy Staunton mit einem Schneeball auf seinen Freund und Widersacher Dunstan Ramsay. Dieser weicht aus, das Wurfgeschoss trifft die schwangere Mrs. Dempster, die eine Frühgeburt erleidet. Das Kind, der kleine Paul, überlebt knapp.
Schweigen – oder Reue bekennen?
Hier stellt sich dem Leser die erste ethische Frage: Sollen die Jungs die Schuld für das Missgeschick auf sich nehmen oder doch besser schweigen? «Ich empfand Reue und Schuldgefühle», sagt der Ich-Erzähler Dunstan. Er steht dazu und wird dafür mit der lebenslangen Zuneigung von Mrs. Dempster belohnt.
In seinem 1970 erschienenen autobiografischen Roman «Der Fünfte im Spiel» zeichnet der Schriftsteller Robertson Davies ein kanadisches Sittengemälde. Er beschreibt darin das Leben in einer Provinzstadt in Ontario, führt durch die Weltkriege in Europa bis in die späten 1960er-Jahre. Im Mittelpunkt stehen die drei Protagonisten Dunstan Ramsay, Percy Staunton und Paul Dempster, wobei ihre Karrieren sehr unterschiedlich verlaufen. Percy wird ein erfolgreicher Geschäftsmann, Dunstan ein Dozent und Paul ein Magier.
Drei Männer, drei Schicksale
Der Leser verfolgt episodenhaft die Schicksalsgeschichten der drei Männer. So wird Dunstan im Ersten Weltkrieg an die Front nach Frankreich geschickt und hat Glück: «Man hatte mich trotz einiger Zweifel darüber, ob ich tot sei oder erst im Sterben lag, zurück zu unserem Stützpunkt transportiert.» Er «weigert sich beharrlich zu sterben» – und sein Durchhaltewillen wird belohnt: Zwar sind ein Bein und ein halber Arm weg. Aber eine schöne Krankenschwester päppelt ihn auf und führt ihn gleich noch in die Wonnen der Liebe ein. Robertson Davies erzählt solch klischierte Episoden derart blumig, dass man ihm auch Dickaufgetragenes abnimmt.
Robertson Davies (1913–1995) ist ein in Europa nahezu unbekannter Schriftsteller. Er veröffentlichte 30 Bücher, darunter etliche Bühnenstücke. Davies liebt es, psychologische Phänomene mit mythologischem Hintergrund einfliessen zu lassen. So löst der Protagonist die Verlobung mit der Krankenschwester, weil sie ihn ganz wie Ödipus zu sehr an seine dominante Mutter erinnert.
Burlesker Auftritt von Liesl Vitzlipützli aus St. Gallen
Es kommt indes noch schlimmer für das sensible Bürschchen, als es im letzten Viertel der Geschichte die «Tochter eines reichen Schweizer Uhrenfabrikanten» kennenlernt. Davies verpasste der St. Gallerin den klangvollen Namen Liesl Vitzlipützli. Sie ist «extrem hässlich mit einer breiten Kinnlade», blitzgescheit und von unbändiger sexueller Begierde.
Bleibt die Frage, was der Romantitel «Der Fünfte im Bunde», oder «Fifth Business» in der Originalversion, soll. Eine schlüssige Antwort hat die Literaturkritik nicht gefunden. Anscheinend bezeichnet der Begriff «The Fifth» aus der Opernsprache eine Figur, die nicht direkt in das Bühnengeschehen eingreift und vielmehr als Beobachter auftritt. Das lässt den Rückschluss auf Ich-Erzähler Dunstan zu, der in dem Roman die Rolle des teilnehmenden Beobachters spielt.
Buch
Robertson Davies
Der Fünfte im Spiel
Deutsche Erstausgabe: 1984
Heute erhältlich bei Dörlemann