Kennen Sie die schönste Liebesgeschichte des Lebens? Sofern Sie sie nicht selbst erlebt haben, empfiehlt es sich, die Erzählung «Liebe in der Nacht» im gleichnamigen Band von F. Scott Fitzgerald zu lesen. Darin verbringt der adlige junge Russe Val mit seinen Eltern im Sommer 1917 einige Tag in Cannes und verliebt sich in eine gleichaltrige Amerikanerin. Aus der jungen Liebe wird nichts – die Russische Revolution kommt dazwischen. Val muss ganz unten durch. Doch das Schicksal hat sein letztes Wort nicht gesprochen …
Das ist eine der sieben Erzählungen in einem schönen Band, der soeben bei Diogenes unter dem Titel «Liebe in der Nacht und andere Lovestorys» herausgekommen ist.
F. Scott Fitzgerald (1896–1940) ist in Europa vor allem als Verfasser des mehrfach verfilmten Romans «Der grosse Gatsby» bekannt. Er war in den USA jedoch schon zu Lebzeiten ein gefeierter Autor, der mit seinen Kurzgeschichten viel Geld verdiente. Allerdings nicht so viel, wie er und seine Frau Zelda Sayre jeweils ausgaben. Das Paar führte eine wilde Ehe mit unzähligen Seitensprüngen und regelmässigen Alkoholexzessen, die bei beiden zu Zusammenbrüchen führten.
Ein Neurotiker
Der ausschweifende Lebensstil findet in fast allen Texten von Fitzgerald seinen Niederschlag. Er fühlte sich von der Dekadenz krankhaft angezogen, war der schriftstellerische Neurotiker der US-Mittelklasse. In der Erzählung «Liebe in der Nacht» etwa leiden die verliebten Teenager unter dem entseelten Lebensstil ihrer begüterten Eltern. Heute würde man von «Wohlstandverwahrlosung» reden. Fitzgerald erzählt diese Geschichte in einer feinen, einfühlsamen Sprache.
In andern Erzählungen zieht er alle Register der komischen Schreibe. In «Eher geht ein Kamel …» sieht ein Verlassener an einem Maskenball unverhofft eine Chance, das Herz seiner Angebeteten zurückzuerobern. Er trifft sie als eine Schlangenfrau und ist selbst als Kamel verkleidet. Doch wie so häufig an den ausgelassenen Partys der Schönen und Reichen droht alles aus dem Ruder zu laufen. Fitzgerald entwickelt hier einen distanzierten, urkomischen Stil, die köstlichen, oft sehr schnellen Dialoge lassen an einen Bühnenschwank denken.
Genauer Beobachter
In der Geschichte «Die letzte Schöne des Südens» ist Fitzgerald der genaue Beobachter der gesellschaftlichen Gegensätze zwischen den Nord- und den Südstaatlern. Junge Offiziere, die im Ersten Weltkrieg in Georgia auf ihren Einsatz an der Front in Frankreich warten, buhlen um eine junge Einheimische, die ihre Gunst mit viel Berechnung
einzusetzen versteht. Fitzgerald wusste, wovon er schrieb. Er war selber Offizier in Militärcamps, wurde aber zu seinem Leidwesen nie an die Front verlegt.
Der sorgfältig gebundene Band ist ein romantisches Buch, das den Kitsch nicht scheut. Es vermittelt Einblick in die Abgründe menschlicher Gefühle, und es gönnt dem Leser eine austarierte Abbildung der wohlbetuchten US-amerikanischen Oberschicht in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.
F. Scott Fitzgerald
«Liebe in der Nacht und andere Lovestorys»
245 Seiten
(Diogenes 2015).