Im Jahr 1894 explodierte eine Bombe beim Königlichen Observatorium in Greenwich bei London. Anarchisten wollten das Symbol des englischen Imperialismus in die Luft sprengen. Denn nach diesem Observatorium richtet sich bis heute die Weltzeit, die Greenwich Mean Time (GMT). Nur: Steckten tatsächlich Anarchisten hinter der Tat?

Der polnisch-englische Schriftsteller Joseph Conrad fand zwölf Jahre später in seinem Roman «Der Geheimagent» eine andere Lesart des Anschlags. Gemäss seiner Interpretation stand die reaktionäre zaristische Monarchie im russischen St. Petersburg hinter dem Anschlag. Die Zaristen erkannten den spätviktorianischen Liberalismus des englischen Königreichs als Bedrohung ihres repressiven Systems.

Sie schleusten nach der Vorstellung Conrads einen Agent provocateur unter die Anarchisten: Adolf Verloc führt in einem schäbigen Londoner Quartier ­einen noch schäbigeren Laden für Pornografie. Daneben arbeitet er für die russische Gesandtschaft. Verloc leuchtet für sie die politische Exilszene aus, da Grossbritannien ein sicherer Ort für Dissidenten ist. Nach einem Botschafterwechsel sind die Russen mit den nichtssagenden Beobachtungen von Verloc aus der Anarchistenszene nicht mehr zufrieden. Sie verlangen von ihm eine handfeste Tat – ein Attentat auf das Observatorium.

Sämtliche männlichen Charaktere sind in Conrads Roman korrumpiert. Der russische Botschafter ist ein Monster, der ermittelnde Polizeiinspektor ein rücksichtsloser Karrierist, der Bombenbauer ein intellektueller Zyniker. Dazwischen steht Verloc, eigentlich ein Hahnenfuss, aber gerade deswegen brandgefährlich.


[Buch]
Joseph Conrad
Der Geheimagent
336 Seiten
Deutsche
Erstausgabe: 1987
Heute erhältlich
bei Diogenes.
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