Wieder gelesen - Der Wolf am Zürcher Käferberg
Vor 30 Jahren hat Franz Hohler seinen Erzählband «Die Rückeroberung» veröffentlicht. Noch heute berühren die Kurzgeschichten, in denen das gewöhnliche Leben plötzlich ins <br />
Groteske kippt.
Inhalt
Kulturtipp 23/2012
Jonas Frehner
Begonnen hat alles mit einem Steinadler auf dem Nachbarhaus des Erzählers. Auf den Adler folgten die Hirsche. Und die Wölfe. Von da weg wurde die Bedrohung durch wilde Tiere mitten in Zürich plötzlich zum bitteren Ernst. Franz Hohler erzählt die namensgebende Geschichte im Erzählband «Die Rückeroberung» aus der Ich-Perspektive.
Trocken und unaufgeregt berichtet Hohler, wie die Natur die pulsierende Stadt übernimmt. So wenn Grausig...
Begonnen hat alles mit einem Steinadler auf dem Nachbarhaus des Erzählers. Auf den Adler folgten die Hirsche. Und die Wölfe. Von da weg wurde die Bedrohung durch wilde Tiere mitten in Zürich plötzlich zum bitteren Ernst. Franz Hohler erzählt die namensgebende Geschichte im Erzählband «Die Rückeroberung» aus der Ich-Perspektive.
Trocken und unaufgeregt berichtet Hohler, wie die Natur die pulsierende Stadt übernimmt. So wenn Grausiges geschieht und das Blut fliesst: «Die ersten, die dann die Wölfe zu Gesicht bekamen, waren die Kinder aus der Schulklasse meines achtjährigen Buben. Als sie an einem Morgen in der Turnstunde am Waldrand des Käferbergs schlittelten, waren die Wölfe plötzlich da und stürzten sich auf den hintersten der Gruppe, den Sohn eines Jugoslawen. Er habe nur einmal geschrien, sagte die Lehrerin, die vor Entsetzen ausser sich war, anscheinend hatten ihm die Wölfe gleich die Halsschlagader durchgebissen.»
Schnörkellos
Der Schriftsteller, Kabarettist und Musiker Hohler zieht seine ruhige und auf den Punkt geschriebene Sprache über alle neun Geschichten durch. Geschwurbel gibt es nicht. Eine von vielen Qualitäten, die Hohlers kurze Tragödien ausmachen. Und er findet immer einen passenden Schluss, der den Leser in Gedanken zurücklässt: In welche Abgründe führt die Geschichte weiter?
Die kürzeste Geschichte – «Der Kuss» – gibt dem Leser gar die Freiheit, eines von drei Szenarien zu wählen. Alle Varianten beginnen mit dem gleichen Satz: «Ein verheirateter Mann gab einer Schauspielerin, mit der er an den Rheinfall gefahren war, als er mit dem Auto wartete, bis er in die Hauptstrasse einbiegen konnte, einen Kuss.» Was danach geschieht, hat grossen Einfluss auf das Tun der beiden und bestimmt, ob und was für eine Zukunft sie haben. Immer leicht grotesk und unglücklich muten die Geschichten an. Dabei verzichtet der Schriftsteller auf den warnenden Zeigefinger.
Unermüdlicher Autor
Nächstes Jahr feiert Franz Hohler seinen 70. Geburtstag. Weiterhin erscheinen regelmässig neue Publikationen aus seiner Feder. So zuletzt «Spaziergänge», eine Sammlung von Ausflügen in der Schweiz. Der Schriftsteller gibt seine gesammelten Eindrücke treffsicher wieder – eine Hommage an die Langsamkeit und das Erleben, das man nur im Gehen erreichen kann. Am 9. November wird Franz Hohler im Rahmen der «Buch Basel» aus den «Spaziergängen» lesen.
[Buch]
Franz Hohler
«Die Rückeroberung»
109 Seiten
Erstausgabe: 1982
(btb Verlag).
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