Die Beine des Ärmsten ragen nach einem Sturz in die Luft: «Er wagt sich nicht zu bewegen, aus Angst, über Bord zu gehen.» Das sind die Tücken einer Bootsfahrt, wie sie der spätviktorianische Schriftsteller Jerome K. Jerome (1859–1927) in seinem köstlichen Roman «Drei Mann in einem Boot. Ganz zu schweigen vom Hund!» beschreibt.
«Rivernovel» aus dem 19. Jahrhundert
Der Hund heisst Montmorency und fühlt sich immer gerade dort am wohlsten, wo ihn niemand haben will. Und der Typ mit der Panikattacke heisst Harris, er sehnt sich auf der Reise immens nach einem Pub: Doch eine Schenke ist in diesem Abschnitt entlang der Themse weit und breit nicht zu finden, sodass er im Gepäck nach einer Flasche sucht und dabei fatal stürzt.
Die Ende des 19. Jahrhunderts erschienene Geschichte ist denkbar einfach angelegt. Die drei Freunde Jerome, Harris und George befinden, dass sie sich Ferien gönnen sollten. Sie entscheiden sich nach einem köstlichen Hin und Her für eine zweiwöchige Reise auf der Themse – von der Ortschaft Kingston nach Oxford flussaufwärts. Jerome hat also eine «Rivernovel» geschrieben. Der Rahmen der Reise ist für den Leser klar abgesteckt; das gibt dem Autor den erzählerischen Freiraum, sich wild auszutoben: Er schweift immer wieder weitläufig ab, wenn er etwa von den Tücken eines Camping-Urlaubs berichtet, nur um zum Schluss zu kommen, dass genau dies nicht der Wunsch von Müssiggängern sein kann und diese dennoch Zelte aufschlagen müssen.
Einzelne Örtlichkeiten laden Arbeitsscheue, die sich heute Touristen nennen, noch immer zum Besuch ein: etwa das Labyrinth in der Gartenanlage von Hampton Court, wo König Heinrich VIII. residierte. Jerome schreibt genüsslich von Menschen, die sich dort angeblich hoffnungslos verirrten. Tatsächlich ist dort der Ausgang selbst mit unterentwickeltem Orientierungssinn einfach zu finden.
«Drei Mann in einem Boot» ist mehr als ein Buch, das heute ausserhalb der angelsächsischen Welt weitgehend vergessen ist. Der Roman ist ein Gegenentwurf zur viktorianischen Gesellschaft: Nichtstun war im 19. Jahrhundert verpönt, der Mensch sollte vielmehr durch Arbeit die Welt verbessern. Eine Flussfahrt war und ist jedoch ziemlich sinnlos, da sie nichts als Lebensgenuss verspricht, ausser wenn man gerade mit den Tücken einer Schleuse konfrontiert ist.
Klare Botschaft: «Wirf den Plunder ab»
Jerome bringt gleich zu Beginn des Buchs sein Anliegen vor und lässt den Ich-Erzähler Jerome sagen: «Wirf den Plunder ab, Mensch! Lass dein Lebensboot beladen nur mit dem, was du brauchst …» Dieses Ethos des Schlendrians hat seinen zwei Kumpels allerdings nicht geschadet. Der eine machte eine Karriere als Bankmanager bei Barclays, der andere wurde zu einem erfolgreichen Verleger in London. Und Jerome selbst? Er schrieb weitere Bücher, die aber nicht annähernd so erfolgreich waren wie «Die drei Mann in einem Boot». Zumal ihm seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg Depressionen bescherten.
Immerhin machte er mit diesem einen Werk ein Vermögen. Daran hatte allerdings seine Frau Ettie einen entscheidenden Anteil. Die wirkliche Themsefahrt unternahm er nämlich mit ihr als Hochzeitsreise und nicht mit den Kumpels.
Buch
Jerome K. Jerome
«Drei Mann in einem Boot»
Erstmals auf Deutsch erschienen: 1920
Übersetzung:
Gisbert Haefs