Als das Buch «Bring mich heim» 1932 erstmals veröffentlicht wird, ist Joe Lederer 28 Jahre alt und gilt als literarisches Wunderkind. Ihr Debüt «Das Mädchen George», das vier Jahr zuvor erschienen ist, wird zum Bestseller. Im autobiografisch gefärbten Buch beschreibt die Autorin das vergnügte, selbstbestimmte, aber auch gehetzte und aufreibende Leben junger Frauen in den 1920ern. Und bringt damit all das auf den Punkt, was die Frauen von damals beschäftigt.
Verarbeitung ihrer Affäre mit Hans Albers
Auch der Roman «Bring mich heim» ist stark autobiografisch gefärbt. Darin zelebriert die 26-jährige Jeannine Maran ein rastloses Leben. Sie reist ziellos in Europa umher, mit Dogge Tommy und Jugendfreund Harald, «ein zarter Riese», in dessen «grossem, schwerfälligem Körper ein scheues Herz» sitzt. Nach zwölf Jahren sind sie sich zufällig wieder begegnet und jetzt zusammen unterwegs. In Florenz, wo die Geschichte im Buch beginnt, will Jeannine sich als Fotografin betätigen: «Aber dann fehlte ihr einfach die Zeit zur Arbeit.» Die junge Frau gibt sich lieber dem Leben hin: «Tagsüber trieben sie sich in der Stadt herum, führten lange Gespräche mit Droschenkutschern, Zeitungsjungen und Kellnern. Nachts sassen sie in Jeannines Zimmer, drehten das Grammophon an und tranken Kognak mit Wermut.»
Der Aufenthalt in Florenz endet schon bald. Zu gross ist Jeannines Unrast, zu stark ihre Sehnsucht nach einem Daheim. Sie will ans Meer, begleitet von Harald und Tommy – bald auch vom Schauspieler Mathieu Corodi. Dieser vergöttert Jeannine, doch sie interessiert sich für keinen der beiden Begleiter. Sie ist dem um 20 Jahre älteren Cousin Andy verfallen, der sie als 15-Jährige verführt hat. Bei ihm scheint sie Geborgenheit zu suchen. So geht die Reise weiter, nach München, wo Andy lebt… Die Geschichte findet kein schönes Ende und lässt Jeannine mit der bitteren Erkenntnis zurück: «Was für ein schrecklicher Zauber, der einen Mann so verblenden konnte, dass er ein normales, gesundes Mädchen zuerst für eine Blumenelfe und dann für eine eiserne Kette hielt!»
Joe Lederer hat ihren Roman dem deutschen Schauspieler Hans Albers (1891–1960) gewidmet. Mit ihm hatte sie in jungen Jahren eine Affäre, die unglücklich endete und die sie im Buch verarbeitet. Mit der Geschichte von Jeannine und Andy legt die Autorin aber ein weit brisanteres Thema auf den Tisch: die Verführung einer Minderjährigen. «Ein Thema, das zu jener Zeit in der Literatur recht nonchalant behandelt wurde», heisst es im aufschlussreichen Nachwort. Anders als viele ihrer männlichen Zeitgenossen beschäftigt sich Lederer mit der verletzten Seele des Opfers, das nicht als Siegerin hervorgehen wird.
Emigration nach Schanghai und England
Auch der Autorin selbst war kein Glück beschieden. 1935 wird Lederers literarisches Werk wegen ihrer jüdischen Abstammung verboten. Sie emigriert nach Schanghai, kehrt an Tuberkulose erkrankt nach Europa zurück. 1939 kann sie nach England ausreisen, arbeitet erst als Kindermädchen, später als Sekretärin. 1956 geht sie nach Deutschland zurück, wird in München sesshaft, wo sie 1987 im Alter von 82 Jahren stirbt: einsam, verarmt und vergessen.
Buch
Joe Lederer
Bring mich heim
Erstmals erschienen: 1932
Neu aufgelegt im Milena Verlag