Ein Spiegel mit sich im Selbstgespräch: «Ich hatte genug, ich gab meine Lebensbestimmung auf. Ich verlor meine Aufrichtigkeit. Ich war es satt, Wahrheiten zu sagen, die keiner glaubte.» Denn der Spiegel erkannte, dass er buchstäblich gegen die Wand anrannte, wenn er den Menschen Hässlichkeit, Eitelkeit oder Verlogenheit kundtat. Sie wollten die Wahrheit gar nicht kennen.
Das Schicksal des Ich-erzählenden Spiegels beschrieb die deutsch-österreichische Schriftstellerin Vicki Baum 1924 in der renommierten Frauenzeitschrift «Die Dame». Baum war zu dieser Zeit bereits eine bekannte Autorin. Ihr erfolgreicher Emigrantenroman «Menschen im Hotel» machte sie im deutschsprachigen Raum berühmt.
Unbestechliche Beobachterin
Nun erinnert ein neu herausgegebener Sammelband ihrer feuilletonistischen Aufzeichnungen mit dem Titel «Makkaroni in der Dämmerung» an die journalistische Tätigkeit dieser ungewöhnlichen Frau. Darin erweist sie sich als eine unbestechliche Beobachterin des gutbürgerlichen Lebens in der prekären Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.
Vicki Baum durchschaute die gesellschaftliche Stellung der Frau genau, etwa in ihrer köstlichen Polemik «Kleine Ansprüche an die Frau» aus dem Jahr 1930: «Sie muss weiblich sein und energisch und selbständig, und sie muss etwas tun, denn Luxustierchen mögen wir nicht mehr, aber sie muss natürlich Geschmack haben, nicht nur so Geschmack, sondern schon etwas mehr …» Der Text gipfelt in Bemerkungen wie: «Es enterotisiert, wenn eine Frau zu klug ist, und erotischer Charme ist doch das Mindeste, was man von einer gescheiten Frau erwarten kann.»
Vicki Baum (1888–1960) wuchs in einer jüdischen Familie in Wien auf und liess sich zur Harfenistin ausbilden, im Ersten Weltkrieg kam sie nach Deutschland, wo sie in Darmstadt als «Grossherzogliche Hof- und Kammermusikerin» spielte. Nach einer gescheiterten Ehe heiratete sie den Dirigenten Richard Lert, mit dem sie zwei Söhne hatte. Nach dem Krieg veröffentlichte sie ihre Romane und arbeitete bei Ullstein für verschiedene Publikationen. Als ihr Roman «Menschen im Hotel» mit Greta Garbo 1932 in Hollywood verfilmt wurde, zog sie nach Amerika und sollte Deutschland nie wieder besuchen. Die Nationalsozialisten verboten ihre Bücher.
Der Titel «Makkaroni in der Dämmerung» kommt von einer bissigen Satire, die Baum über die «Sachliche Fotografie» schrieb: «Liebe Fotografen, wir kennen euer ewiges Treppenhaus, von unten her zur Schnecke zusammengeschoben …» Wer den Text gelesen hat, kann nie mehr eine Fotografie aus jener Zeit unvoreingenommen anschauen.
Viele Texte befassen sich mit dem Musikleben. Herausgeberin Veronika Hofeneder verweist in ihrer Einführung auf «die gesellschaftlichen Analysen und das Aufzeigen sozialpolitischer Missstände» in Baums Musikrezensionen. So kritisierte sie die Arbeitsbedingungen für die sozial zu wenig abgesicherten Orchestermusiker in Deutschland und Österreich. Aber Baum war keine linke Aktivistin. Sie verstand sich vielmehr als eine Unternehmerin, die mit dem Schreiben zu Geld und Ruhm kommen wollte. Ein Lebensziel, das sie erreichte.
Buch
Vicki Baum
Makkaroni in der Dämmerung
Hg. Veronika Hofeneder
319 Seiten
(Edition Atelier 2018)