Eine Alltagsweisheit besagt, das Alter sei nichts für Feiglinge. Konkret sieht es so aus: «Er nagte mit seinen wenigen Zähnen an dem Toast herum, wurde aber selbst mit der Kruste fertig.» Das ist eine der hübschen Altersszenen aus Muriel Sparks Roman «Memento Mori», der in neuer Übersetzung erschienen ist.
Die schottische Autorin lässt eine Runde von Alten zusammenkommen, die es in ihrer Jugend querbeet getrieben haben. Unglücklicherweise sind daraus Lebenslügen entstanden, die sie bis ins hohe Alter pflegen und nicht aufzulösen wagen.
Schwarzer Humor und schräge Charaktere
Die Schriftstellerin erzählt diese Geschichte als eine Art heitere Anekdotensammlung, die eine Reihe geheimnisvoller Telefonanrufe wie ein roter Faden zusammenhält. Eine unbekannte Stimme erinnert die Senioren mit Boshaftigkeit daran, dass ihr Ende bald bevorsteht. Mehr noch: Es kommt zu einem veritablen Mord an einer halbadeligen Justizreformerin. Aber auch ihr bleibt die Sühne verwehrt. Denn das Leben ist gemäss Spark ungerecht und gemein.
Die in Edinburgh geborene Muriel Spark (1918–2006) wuchs in einem bücherlosen Elternhaus auf, ihre Mutter neigte dem Sherry zu. Spark heiratete mit 19 Jahren einen Lehrer, der unter psychischen Störungen litt. Sie zog mit ihm nach Rhodesien, dem heutigen Simbabwe; das Paar hatte einen Sohn. Im Zweiten Weltkrieg trennte sie sich von ihrem Mann, kehrte nach Grossbritannien zurück und begann, professionell zu schreiben. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts war Muriel Spark eine literarische Grösse. Ihr Roman «Die Blütezeit der Miss Jean Brodie», eine Farce über das Bildungssystem, verschaffte ihr den Durchbruch.
In «Memento Mori» versauern schräge Charaktere ihre letzten Jahre. Etwa der 87-jährige Geoffrey Colston, ein früherer Brauerei-Direktor und Frauenheld. Er ist überzeugt, dass seine Angetraute Charmian, eine erfolgreiche Schriftstellerin, von seinen früheren Affären nichts weiss. Obwohl ziemlich verwirrt, ist sie über die Vergangenheit ihres Mannes bestens im Bild. Sie nimmt es ihm aber nicht übel, weil ihr seine Eskapaden Gelegenheit für eine jahrelange Liaison mit einem Literaten boten, der «als Kritiker schlecht und als Dichter miserabel war».
Die weiblichen Charaktere sind durchwegs etwas schlauer als die Männer, die sich dafür durch eine auffällige Ich-Bezogenheit auszeichnen. Muriel Spark gleicht mit solchen Beziehungsskizzen ihren Zeitgenossinnen Fay Weldon oder Iris Murdoch. Stilistisch indes steht Spark in der Tradition eines Evelyn Waugh, der das menschliche Zusammensein mit einem ähnlichen Humor ziselierte. Muriel Spark trat wie er zum Katholizismus über. Sie suchte in der Kirche die lange Tradition, die ihr Halt im Leben bot.
Das Fazit von «Memento Mori» bringt die britische Autorin A.L. Kennedy in ihrem Nachwort auf den Punkt: «Man spürt ihren unerschütterlichen, genauen Blick und forensischen Jagdtrieb.»
Buch
Muriel Spark
Memento Mori
Aus dem Englischen von Andrea Ott
Deutsche Erst-ausgabe: 1960
(Diogenes 2018)