Eine wahre Bestie zog durch die Meere: «Was den Walfängern jenen panischen Schrecken einjagte (…), war seine umsichtige Tücke, die er bei seinen Angriffen immer wieder bewies.» So beschreibt Herman Melville den Weissen Wal Moby-Dick in seinem gleichnamigen Roman. Das Tier biss einst dem erfahrenen Kapitän Ahab ein Bein ab. Dieser verschmerzte den Verlust schlecht und kannte fortan nur ein einziges Lebensziel: die Vernichtung von Moby-Dick. Ich-Erzähler des Romans ist der Matrose Ismael, der auf Ahabs Schiff «Pequod» anheuert.
Melville selber heuerte auf einem Walfänger an
Entlang dieser Grundzüge entwickelte Herman Melville (1819–1892) seinen Roman «Moby-Dick» in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Buch kam schlecht an – der Misserfolg passte zu Melville, der in die Kategorie «verkanntes Genie» gehörte. Er lebte von den Zuwendungen seines Schwiegervaters.
Allerdings wusste Melville, wovon er schrieb. Er hatte 1841 auf einem Walfänger angeheuert. Die Reise rund um Kap Hoorn in den Pazifik sollte über drei Jahren dauern. Das harsche Regime der Seeleute behagte ihm indes schlecht, er desertierte in der Südsee. Ob er tatsächlich je unter Kopfjägern lebte, wie er gerne behauptete, bleibe dahingestellt. Das gruslige Thema diente den Europäern im 19. Jahrhundert dazu, mit der persönlichen Lebenserfahrung anzugeben. Diesen kolonialen Kannibalismus durchschaute der englische Schriftsteller W. Somerset Maugham genau, dessen witziges Essay über Melville der neuen «Moby-Dick»-Ausgabe von Diogenes beigefügt ist: «Er befreundete sich dort mit einem Mädchen, schwamm und ruderte mit ihr und war, abgesehen von der Furcht, gefressen zu werden, ganz zufrieden.» Melville war indes kein Rassist – im Gegenteil. Als der Matrose Ismael sein Bett mit einem Kopfjäger teilen muss, erweist sich dieser als nett: «Wir Menschfresser müssen euch Christenmenschen manchmal beispringen.»
«Moby-Dick» ist wie viele Romane des 19. Jahrhunderts ausufernd wie eine TV-Soap heutzutage. Melville packte alles hinein, was ihn gerade beschäftigte – von philosophischen Betrachtungen zu pseudowissenschaftlichen Erwägungen. So geht der Ich-Erzähler der Frage nach, ob der Wal tatsächlich ein Fisch sei oder gemäss dem Naturforscher Carl von Linné doch nicht. Der Ich-Erzähler Ismael kommt zum Schluss, was im Wasser schwimmt, hat ein Fisch zu sein – basta.
Kapitän Ahab kennt keine Einsicht
Der Roman erzählt, wie gefährlich das Leben der Crew unter dem fanatischen Kapitän Ahab ist. Das erkennt der Steuermann Starbuck, der sich nach und nach zum Gegenspieler des Kapitäns entwickelt. Er versucht, die Reise in sichere Bahnen zu lenken. Doch Ahab kennt kein Einsehen – es kommt zur schicksalhaften Begegnung mit Moby-Dick.
Herman Melvilles Geburtstag hat sich am 1. August zum 200. Mal gejährt. Zum Jubiläum sind einige Neuauflagen seiner Werke erschienen.
Buch
Herman Melville
Moby-Dick
Dt. Erstausgabe: 1927. Heute erhältlich bei Diogenes in der Übersetzung von Thesi Mutzenbecher und Ernst Schnabel
Weitere Neuausgaben von Herman Melville
Mardi und eine Reise dorthin
Erweiterte Neuausgabe beim Manesse Verlag
Bartleby, der Schreiber
Neuausgabe mit Illustrationen von Sabine Wilharm beim Insel Verlag
Billy Budd
Neuausgabe bei Diogenes mit einem Essay von Albert Camus