Unerfüllte Liebe, Ehebruch, Rache, Mord: Theodor Fontanes Roman «Effie Briest» von 1896 hat alles, was auch ein moderner Unterhaltungsroman bieten kann – und noch viel mehr. Mit der Geschichte rund um eine junge Frau, die sich aus ihrer langweiligen Ehe und moralischen Zwängen befreien will, verhandelt Fontane gesellschaftliche Themen: Er zeigt etwa auf, in welche passive Rolle die Frau in der Adelsgesellschaft des 19. Jahrhunderts gedrängt wird.
Hinterfragen von Geschlechterbildern
Effie Briest, die als 17-Jährige auf Geheiss ihrer Mutter den über 20 Jahre älteren Baron von Instetten heiratet, löst sich aus ihrer Lethargie, indem sie sich in eine Affäre mit einem Offizier stürzt. Doch das Abenteuer mit Major von Crampas endet im Desaster. Als ihr pflichtbewusster Mann die Liebesbriefe Jahre später entdeckt, verstösst er Effie und tötet im Duell den Offizier. Für die nun gesellschaftlich geächtete Effie führt die Affäre zum schlimmstmöglichen Ende …
Fontane (1819–1898) hat sich für die Geschichte von einer wahren Begebenheit inspirieren lassen. Er erzählt darin aber nicht nur von einer versuchten Frauen-Emanzipation, sondern hinterfragt auch die Rolle des Mannes: Dieser verfügt zwar über einen grösseren Spielraum als die Frau, aber ist ebenso in gesellschaftlichen Konventionen gefangen. Denn der betrogene Baron von Instetten fühlt sich zum Duell verpflichtet. Die Möglichkeit, die vergangene Affäre auf sich beruhen zu lassen, besteht in der von rigiden Moralvorstellungen bestimmten Gesellschaft nicht: Vom Mann wird erwartet, dass er für die Wiederherstellung seiner Ehre kämpft. Mit dieser Hinterfragung von Geschlechterbildern kann der Roman direkt an heutige Diskussionen zur Rolle von Mann und Frau anknüpfen.
«Seine Romanfiguren sind lebensecht, sprechen eine natürliche Sprache, lieben und leiden wie Menschen von heute. Fontane erweist sich in diesem Roman als grosser Psychologe, Gesellschaftskritiker und Humanist», sagt die Schweizer Literaturwissenschafterin Regina Dieterle. Sie hat kürzlich im Hanser Verlag eine Biografie veröffentlicht, in der sie auch auf die eher unbekannte journalistische Tätigkeit Fontanes eingeht. Bei den Recherchen sei ihr bewusst geworden, wie gross der Einfluss seiner journalistischen Arbeit auf sein späteres Werk war: «Er hatte grossen Spass, mit Texten zu spielen, daraus entwickelte sich auch sein Humor und seine Subversivität.»
Fontane, ursprünglich Apotheker, stand ab 1850 als Redaktor im Dienst der konservativen preussischen Regierung, bis er sich in späteren Jahren als Autor weltoffener zeigte: «Der Romancier Fontane ist nicht mehr der konservative Redaktor von einst, ganz im Gegenteil, er steht für ein freies Leben und die Selbstbestimmung ein. Das galt für ihn auch für die Frau», führt Dieterle aus. Als Künstlerpersönlichkeit habe Fontane selbst unter gesellschaftlichen Konventionen gelitten, musste sich aus Zwängen befreien: «Wenn er die Emanzipationsgeschichte eines weiblichen Charakters erzählt, dann spricht er vielleicht indirekt auch immer über sein eigenes Erleben.»
Szenische Lesung
Emilie und Theodor Fontane
Eine Ehe in Briefen, gelesen von Graziella Rossi und Helmut Vogel
So, 17.3., 11.00 Kunst(Zeug)Haus Rapperswil SG
Bücher
Theodor Fontane
Effi Briest
Erstausgabe: 1896
Heute erhältlich im dtv Verlag
Regina Dieterle
Theodor Fontane
832 Seiten
(Hanser 2018)