Wieder gehört: Die umstrittene Jahrhundertstimme
Vor einem Jahr starb Leonard Cohen. Die unverkennbare Stimme des kanadischen Folk-Poeten klingt nach, wie ein Wiederhören seiner Platten und ein Film zeigen.
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Kulturtipp 23/2017
Frank von Niederhäusern
Wie lange er es aushalte, sich selbst beim Singen zuzuhören? Mit dieser kecken Frage entlockte ein Journalist Leonard Cohen 1972 ein charmantes Lächeln – und eine schlagfertige Antwort. «Weit weniger als eine halbe Stunde», sagte der junge Kanadier, der damals seine erste grosse Europa-Tournee absolvierte. So witzig sich die Szene aus Tony Palmers Dokfilm «Bird On A Wire» anhören mag, sie bringt ein «Alleinstellungsmerkmal» von Leonard ...
Wie lange er es aushalte, sich selbst beim Singen zuzuhören? Mit dieser kecken Frage entlockte ein Journalist Leonard Cohen 1972 ein charmantes Lächeln – und eine schlagfertige Antwort. «Weit weniger als eine halbe Stunde», sagte der junge Kanadier, der damals seine erste grosse Europa-Tournee absolvierte. So witzig sich die Szene aus Tony Palmers Dokfilm «Bird On A Wire» anhören mag, sie bringt ein «Alleinstellungsmerkmal» von Leonard Cohen (1934–2016) auf den Punkt. Seine sonore Stimme nämlich liess ganze Hallen von Fans abheben, rief aber auch Kritiker auf den Plan, die behaupteten, Cohen könne schlicht nicht singen oder habe die Wirkung einer Schlaftablette. Dennoch bleibt seine Stimme als prägendes Klangbild des späten 20. Jahrhunderts in Erinnerung. Mehr noch: Bis zu Cohens Tod 2016 war sie globales popmusikalisches Kulturgut – und wird es noch lange bleiben.
Songs verständlicher als bloss nur Worte
Zum ersten Todesstag am 7. November zeigt Arte die erwähnte Dokumentation von Tony Palmer, der Cohen 1972 auf besagte Tournee begleitete. In kunstvoller Collagetechnik gibt er Einblick in den Touralltag des selbstbewussten jungen Musikers, zeigt den engagierten Poeten, den charmanten Womanizer, den staunenden und zweifelnden Weltbürger. Als Ergänzung zu diesen Bildern – und als private Erinnerung an Leonard Cohen – empfiehlt sich das Wiederhören seines Debütalbums mit dem lapidar-programmatischen Titel «Songs Of Leonard Lohen» von 1967. Darauf sind bereits viele seiner späteren Hits zu finden: «Suzanne», «Sisters Of Mercy» oder «So Long, Marianne». Eine geballte Ladung, die kaum verwundert wenn man bedenkt, dass Cohen als Debütant bereits einen erfolgreichen Karrierestart als Lyriker und Romancier hinter sich hatte. Er habe stets gerne gesungen, betont er im Film. Und da Songs oft besser verstanden würden als geschriebene oder gesagte Worte, habe er beschlossen, auch als Sänger aufzutreten. Seine Mehrfachbegabung – als weitere ist die Malerei zu nennen – lebte Leonard Cohen zeitlebens aus. Nicht immer mit gleichem Erfolg.
Nachhaltige Texte als grosses Vermächtnis
Der notorische Melancholiker und Zweifler erlebte im Laufe seines Lebens mehrere Krisen und zog sich für Jahre in sein Privatleben oder die Einsamkeit von Zen-Klöstern zurück. Ebenso häufig und legendär waren seine Comebacks. Das letzte nahm er 2008 in Angriff. Und sein letztes, 14. Studioalbum «You Want It Darker» erschien unmittelbar vor seinem Tod.
Was bleibt von Leonard Cohen, ist nicht nur seine umstrittene Stimme sowie Songs, die «stets mit dem selben Akkord beginnen», wie Cohen selbst scherzte. Denn: «Ich kann nur diesen einen.» Von nachhaltigem Wert sind vor allem die Texte dieses hochsensiblen Lyrikers, der beschrieb und besang, was Menschen gerade heute wieder bewegt: das Gefühl der Einsamkeit in einer zunehmend unwirtlichen Welt.
CD
Leonard Cohen
Songs Of Leonard Cohen
(Columbia 1967).
Dokfilm
Leonard Cohen – Bird On A Wire
Regie: Tony Palmer
Fr, 3.11., 21.50 Arte