Es läuft gut bei Wiebke Mollenhauer. Auf ihren Auftritt in «Gier» am Schauspielhaus Zürich folgten Lobeshymnen in den Medien. Während des Stücks wurde Mollenhauers Gesicht auf eine Leinwand übertragen. Den Text sprachen andere, doch in ihrem Gesicht entfaltete er seine teils grausame Wirkung. Für diesen Einsatz wurde sie zur «Schauspielerin des Jahres» gewählt. «Das freut mich, ändert jedoch nichts an meinem Selbstbild», sagt Mollenhauer.
Die Thüringerin lernte schon früh, Selbstwert nicht von Erfolg abhängig zu machen. 30 Mal wurde sie von Schauspielschulen abgelehnt, bis sie einen Studienplatz in Hamburg bekam. «Der Grund für das ‹Nein› war immer ein anderer. Da begriff ich, dass in der Theaterwelt viele Leute viele Meinungen haben.» Heute entscheide sie selbst, wem sie die Deutungshoheit gebe.
Im Studium nachts heimlich Szenen geprobt
Die Schauspielerin hat einen wachen, direkten Blick. Wie auf der Bühne gibt sie sich auch ins Zvieri-Gespräch mit dem kulturtipp voll rein, ihre Gemüsesuppe bleibt lange unberührt. Mollenhauer lebt vegan, fliegt nicht, macht aus Prinzip keine Werbung. Sie ist idealistisch, aber nicht moralistisch, interessiert sich mehr für philosophische Fragen als für Positionen.
Neben der Bühne arbeitet sie für einen Verein, der Hunde aus Heimen vermittelt, und engagiert sich für Zürcher Stadttauben. «Die werden getötet, obwohl man die Population mit Taubenschlägen und Kunsteiern eindämmen könnte.» Manchmal stelle sie den Sinn des Schauspielerinnenjobs infrage. «Aber nur, wenn inhaltliche Leere mit Effekten gefüllt wird.» Sie sei jedoch überzeugt, dass ihre letzten Stücke das Publikum bewegt und eine gemeinsame Frage behandelt hätten.
«Dann finde ich meine Arbeit genauso sinnvoll, wie ein Tier zu retten.» Die Schauspielerin ist mit dem Regisseur Christopher Rüping nach Zürich gekommen, mit dem sie eine lange Arbeitsbeziehung am Schauspiel Frankfurt und an den Münchner Kammerspielen verbindet. «Wir haben schon im Studium nachts heimlich auf der Probebühne Szenen ausprobiert», erzählt sie und lacht. Heimlich, weil die Dozentinnen nicht wollten, dass die Studenten zu früh «verbogen» werden.
Mit Rüping habe sie eine Arbeitsweise gefunden, die ihr zusagt. «Wir suchen nach der Schnittstelle des Stoffs mit dem Hier und Jetzt.» Mollenhauer pendelt zurzeit zwischen Tauben und «Möwe», dem Tschechow-Stück, in dem sie die Schauspielerin Nina spielt. «Ich frage mich: Warum wollen Leute heute noch sehen, wie Schauspieler um sich selbst kreisen? Ich glaube, weil aufgeklärte Menschen immer noch in toxische Arbeits- und Liebesbeziehungen hineingehen.»
Auf «Die Möwe» folgen noch mindestens zwei Stücke am Schauspielhaus Zürich. Dann wird sie ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegen. Für Gastauftritte in Zürich führt sie bereits Verhandlungen.
Die Möwe
Fr, 22.12.–Di, 30.1.
Schauspielhaus Zürich
Wiebke Mollenhauers Kulturtipps
Literatur
Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends (Suhrkamp 2014)
«Christa Wolf stellt sich eine Begegnung zwischen Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist vor und beschreibt die Verbindung wahnsinnig toll.»
Film
Okja (Netflix)
«Der koreanische Film erzählt eine Geschichte, die zwischen Realität und Märchen schwebt – mit einem Blick auf Tiere, wie ich ihn mir wünsche.»
Ausflug
Besuch eines Luzerner Taubenschlags
«Die Umweltberatung Luzern führt Besichtigungen des Taubenschlags durch und vermittelt interessante Einblicke ins Leben der Stadttauben.»