Spannend. In der Einspielung von Richard Wagners «Parsifal» wird auf der Philharmonia-CD-ein Bogen gespannt, der das kommende Bühnenweihfestspiel erahnen lässt. Vor- und Zwischenspiele aus der «Götterdämmerung», «Rienzi», die «Feen». Ein Vorspiel zu noch Grösserem soll dieses Album sein: Die Philharmonia Zürich, das Opernhausorchester, möchte als Sinfonieorchester Massstäbe setzen. Ein kleiner, leise sprechender Italiener will das so.
Seit 2012 ist der 56-jährige Fabio Luisi Chefdirigent am Opernhaus. Dieser Mann spinnt seit Jahren so fleissig an seiner Karriere, dass er in den letzten zwei Jahren bald in New York, bald in Mailand als künftiger Opernchef gehandelt wurde.
Auf Top-Niveau
Locker trimmte er sein aktuelles Hauptorchester auf Top-Niveau. Doch das genügt Luisi nicht. Er will der ganzen Klassikwelt seine Zürcher Kunstideen zeigen und seiner im Orchestergraben versteckten Philharmonia das Selbstvertrauen einimpfen. Das heisst in der Sprache der Orchestermanager: Er will auf Tournee gehen und CDs einspielen. Dafür wurde flugs der Mottenkistenname «Opernhaus Orchester Zürich» ins schicke, weltgewandte Philharmonia Zürich geändert. Mit Luisis Worten: «Wir haben nach einem Namen gesucht, den man nicht zu übersetzen braucht. Philharmonia verstehen alle.»
Doch wenn sich ein Opernorchester als Sinfonieorchester mit der Welt messen will, muss es sich erstens ein Repertoire erschaffen und zweitens konkurrenzfähig spielen können. Mit der ersten CD wagte man sich gleich an eine sinfonische Torte, an der bereits jedes Orchester der Welt herumgebacken hat: Berlioz’ «Symphonie fantastique». Mit dem zweiten Streich, der Wagner-CD, bleibt man nun geschickt in der sinfonischen Opernwelt.
Drüben in der Tonhalle erlebt man ebenfalls spannende, aber auch unruhige Zeiten. Nach langen Jahren ist seit letztem Sommer David Zinman weg: ein feinsinniger Klangarbeiter, Tournee- und CD-Einspielgarant. Seit Herbst 2014 steht der Franzose Lionel Bringuier auf dem Podium (kulturtipp 11/15) – und hinter ihm die deutsche Intendantin Ilona Schmiel. Obwohl beide mit einem prächtigen Überschuss an Selbstvertrauen gesegnet sind, gilt es nun erst einmal, auf der Bühne die Gunst des Publikums zu erspielen. Doch kaum hatten sie das Eröffnungskonzert hinter sich, standen schon die Mikrofone für CD-Aufnahmen im Saal: Der Chefdirigent soll mit französischem Repertoire auftrumpfen und spielt Werke von Maurice Ravel ein. Bewegt sich das Opernhausorchester mit Berlioz und Wagner eher im Hitparaden-Bereich, kann es sich die Tonhalle offenbar leisten, am Repertoire-Rand Punkte zu sammeln.
Fabio Luisi meint, dass keine Konkurrenz bestehe. Er will sie gar nicht sehen. Und da beim Opernhaus der Kanton und bei der Tonhalle-Gesellschaft die Stadt die Subventionsgeber sind, besteht hinsichtlich des öffentlichen Geldes im Prinzip kein Wettstreit.
«Völlig egal»
Tonhalle-Intendantin Schmiel sind die Aktivitäten des Philharmonia «völlig egal». Sie sieht nirgends eine Konkurrenz – schon gar nicht betreffend Tourneen: «Da haben wir wesentliche Vorteile, sind weiter, haben Angebote aus allen Kontinenten – ausser vielleicht Afrika. Wir bewegen uns in jene Regionen, die für uns wichtig sind.» Die Tournee des Tonhalle-Orchesters startete Ende Februar: Es ist ein Mix aus wenig prestigeträchtigen Sälen in Lyon, Toulouse oder Bremen und dem finalen Höhepunkt in Wien und München.
Obwohl von Luisi gewünscht, ist das Philharmonia hingegen noch nicht so weit: Man gab 2012 erst ein Konzert in Freiburg und 2013 eines in Ottobeuren – in der Provinz. Aber im Herbst wird es eine prestigeträchtigere Deutschlandtournee geben, und für 2017 ist eine Tournee in Planung.
Obwohl bald zwei Zürcher Orchester um Gastauftritte im nahen Ausland buhlen, ist für Tonhalle-Chefin Schmiel klar, dass die Musikwelt zwischen den beiden Orchestern unterscheiden kann und wird: «Je besser sie sind, umso besser für uns – und für das Publikum. Wenn die Kultur in einer Stadt einen hohen Stellenwert hat, ist es ein Vorteil für alle Akteure. Nur wo sich eine Spitze bildet, zieht man andere mit. Sonst redet man über Mittelmass.»
Auf dem CD-Markt ist das Philharmonia der Tonhalle zurzeit einen Schritt voraus. Zwei CDs und eine DVD stehen beim eigenen Label Philharmonia Records zum Verkauf. Das Tonhalle-Orchester indes ist noch an der Arbeit. Es wird dafür 2016 gleich mit einer ganzen Ravel-Box aufwarten. Und das bei der Deutschen Grammophon, der erhabensten CD-Adresse der Welt.
Vorher trumpft aber auch das Philharmonia mit einer Box auf, die im Oktober 2015 erscheint – mit allen Rachmaninow-Klavierkonzerten. Solistin ist Luisi-Schützling Lise de la Salle – eine weltweit bejubelte Pianistin. Klassikkrise hört sich anders an.
Philharmonia Zürich auf CD und DVD mit Fabio Luisi
Hector Berlioz
Symphonie fantastique
(Philharmonia Records 2013).
Richard Wagner
Vorspiele und Zwischenspiel
(Philharmonia Records 2014).
Giuseppe Verdi
Rigoletto, 2014
DVD, 124 Minuten + Bonusmaterial
(Philharmonia).