Eine alte Schallplatte dreht sich, es rauscht und knistert. Im Off hört man die Stimme eines Mannes, der auf Englisch klarstellt: Der Tango komme ursprünglich aus Finnland. Genauer aus dem finnischen Osten, wo diese Musik um 1850 entstanden sei. Hirten hätten dort Tango-Lieder gesungen, um die Wölfe von ihrem Vieh abzuhalten – «und weil die Einsamkeit sie quälte». Der Tango gelangte schliesslich an die Westküste, und von dort brachten ihn Seeleute via Uruguay nach Argentinien. Diese Tatsache sei leider vergessen gegangen, «weil wir Finnen bescheiden sind und oft von der Geschichte übergangen werden». Dasselbe mit dem Walzer: «Den haben wir auch erfunden, er wurde uns aber von den Österreichern geklaut.»
«Die spinnen, oder?»
Die Stimme entpuppt sich als jene von Kultregisseur Aki Kaurismäki. Ist alles wirklich wahr oder nur gut erfunden? Die Frage stellt sich auch in Argentinien selber, das gemeinhin als der authentische Ort des Tango gilt. Walter «Chino» Laborde (Gesang), Pablo Greco (Bandoneon) und Gitarrist Diego «Dipi» Kvitko bilden ein Tango-Trio, das sich originellerweise «Duo» nennt. «Trauer, Schmerz, Nostalgie, Sehnsucht, Melancholie», das alles macht für Chino den Tango aus. Und den sollen die Finnen erfunden haben? «Die spinnen, oder?»
In ihnen reift der Entschluss, es mit eigenen Augen und Ohren erfahren zu wollen. Chino, Pablo und Dipi reisen nach Finnland. Staunend erfahren sie, mit einem Mietwagen in den unendlichen finnischen Wäldern unterwegs, wie es sich mit dem Tango hier verhält. Sie besuchen eine Milonga, einen für ihren Geschmack etwas steifen Tanzanlass, und begegnen diversen Exponenten der finnischen Musikszene. M.A. Numminen gehört zu ihnen («Es gibt sehr viel Sexappeal im finnischen Tango, aber er ist versteckt»). Der versierte Jazzer und Tango-Sänger ist sich nicht zu schade, seit über einem Vierteljahrhundert zweimal pro Jahr im Hasenkostüm vor Kindern aufzutreten, damit die Tradition erhalten bleibt.
Die drei besuchen die Sängerin Sanna Pietäinen, von der Chino eine Gesangslektion erhält. Mit dem Resultat, dass er und Sanna gemeinsam einen Tango mit finnischem Text singen. Finnland bleibt für die drei aus der Fremde faszinierend: die Wälder, in denen man sich gerne mal verfährt und wo man einer Ein-Personen-Sauna auf Rädern begegnen kann, und die Menschen («Hier sind sie viel entspannter»).
Amüsanter Dokfilm
Dipi sinniert einmal mit Pablo auf dem Steg am See vor ihrem Kesämökki (Sommerhäuschen): «Es ist schön hier. Seltsam, aber schön.» Ein schönes Sommerhäuschen besitzt auch der legendäre Reijo Taipale, seines Zeichens Superstar des finnischen Tango mit dem Überhit «Satumaa» aus den 1960er-Jahren. Die argentinischen Freunde bestreiten mit Taipale eine Session – «Es gibt ihn also doch, den verdammten finnischen Tango!» Bleibt nur die Frage, wo er seinen Ursprung hat.
Der deutschen Regisseurin Viviane Blumenschein ist ein amüsantes Roadmovie gelungen; ein aufschlussreicher Dokumentarfilm, für den sie sich allerdings ab und zu inszenatorischer Mittel bedient. Doch es bleibt alles echt und ehrlich.
Mittsommernachtstango
Regie: Viviane Blumenschein
Ab Do, 21.8., im Kino