Zuerst hat Dani Levy leer geschluckt, als die Anfrage für eine Inszenierung im Schauspielhaus Zürich kam. «Traue ich mich?», hat sich der Basler Regisseur gefragt, dessen Bühnenerfahrungen schon weit zurückliegen. Er hat den Schritt gewagt und anstatt der Inszenierung eines Klassikers gleich einen eigenen Theatertext geschrieben. Inspiration zu seinem Stück «Schweizer Schönheit» fand er im Film «American Beauty» des britischen Regisseurs Sam Mendes, in dem ein Mann in der Midlife-Crisis sein Leben auf den Kopf stellt – mit fatalem Ausgang.
Auch Levys Hauptfigur Balz Häfeli hat die Nase voll von seinem festgefahrenen Leben im Schweizer Vorzeige-Städtchen Wohlstadt: Seine Frau betrügt ihn mit dem eigenen Vater, der Nachbar schnappt ihm den ersehnten Abteilungsleiterposten weg, seine drei Kinder haben sich von ihm entfremdet, und ernst nimmt ihn sowieso niemand. «Die Schweiz ist nicht mehr gemütlich. Keiner braucht Männer wie Sie. Die Netten werden entsorgt», wirft ihm etwa sein Nachbar an den Kopf. An seinem 50. Geburtstag reisst der bis anhin unbescholtene Durchschnittsbürger das Ruder herum. Er kehrt Familie und Job den Rücken, zieht in den Gartenschuppen und übt die Anarchie. So tanzt er nur mit einer Schweizer Fahne bekleidet durch den Garten, baut an seinen Schuppen ein Minarett an oder ruft sein eigenes Königreich aus.
Befreiungsschlag
Beim Probeneinblick im Zürcher Schiffbau ist die dritte Szene in vollem Gang: Der ehemalige Ja-Sager Balz (Michael Neuenschwander) ist zum Störfall mutiert. Sein jüngster Sohn bittet ihn: «Du hast lange genug verrückt gespielt. Kannst du dich jetzt wieder in die Gesellschaft eingliedern?» Doch Balz macht keine Anstalten, seinen Befreiungsakt abzubrechen. Schon bald darauf fordern ihn die Vertreter der Gemeinde auf, Wohlstadt zu verlassen: «Die Stadt ist zu klein für Querulanten wie Sie. Gehen Sie doch nach Zürich!»
Im Stück habe er universelle Themen, wie die Lebenskrise oder den Generationenkonflikt, genauso ansprechen wollen wie schweizspezifische Themen, sagt Levy. Eine «fundamentalistische Komödie» nennt er sein Werk. Das beziehe sich auf die Kollision der Pole – hier die brave Gemeinde, dort der aufmüpfige Bürger Balz, sei aber auch ironisch gemeint: «In der Schweiz herrscht ja Konsens. Es gibt einen klar umrissenen Verhaltenskodex. Es ist kein Land, in dem alles möglich ist. Balz testet in diesem klar konturierten Gesellschaftsbild seine persönliche Freiheit aus. Was bedeutet es, wenn du nicht mehr mitspielst im System?» Als einst apolitischer Mensch wird Balz plötzlich von der Politik vereinnahmt – als Feindbild von rechts und als Solidaritätsbild von links. «Je mehr Balz merkt, dass er etwas auslöst, desto frecher wird er.»
Auch auf persönlicher Ebene löst der Befreiungsschlag einiges aus. Während der älteste Sohn für Vernunft plädiert und die Tochter den rebellierenden Vater scheinbar teilnahmslos mit ihrer Handkamera festhält, kommt Balz seinem Jüngsten wieder näher – und auch seine Frau findet wieder Gefallen an ihrem aus der Lethargie erwachten Gatten. «Es ist wie eine Neugeburt. Er kann die Reset-Taste drücken», führt Levy aus.
Der Regisseur hat ein Flair für Loser-Typen. So hat er etwa im Film «Das Leben ist zu lang» (2010) einen 50-Jährigen in einer Lebens- und Schaffenskrise ins Zentrum gestellt. Dieser wählt allerdings einen anderen – ebenfalls radikalen – Weg aus dem Schlamassel. «Das Thema beschäftigt mich», bestätigt Levy. «Das Alter um 50 ist eine diffizile Zeit, in der man eine Bilanz zieht. Und vielleicht findet man sich als Gefangener der Lebensbedingungen wieder, die man selbst geschaffen hat.» Er selbst löse solche Konflikte, indem er sie in seinem Werk thematisiere, meint der 57-Jährige lachend. Humor ist sein Allheilmittel: «Aus der Not entsteht für mich der tiefste und schönste Humor. Eine gute Komödie muss für mich immer auch tragisch sein, auf echten Spannungen und existenziellen Abgründen beruhen.»
Unter Hochdruck
Nun hofft er, dass das Publikum diese Balance zwischen Tragik und Komik spüren wird. Der direkten Reaktion der Zuschauer schaut der Filmemacher mit Spannung entgegen. «Es muss alles live funktionieren – Einsätze, Licht, Ton etc. – jedes Mal aufs Neue. Das ist etwas angsteinflössend.» In der sechswöchigen Probezeit steht er unter Hochdruck, wechselt zwischen Proben, Sitzungen und anschliessendem Weitertexten bis 2 Uhr morgens. «Der Text ändert sich während der Proben ständig.» Auch musikalisch ist er noch auf der Suche: Sicher ist, dass das Stück Musical-Elemente enthält. «Die Figuren haben ihre eigenen Songs, die ihren jeweiligen Emotionen entsprechen. Es sind Meilensteine aus der Popmusik – von James Brown bis Queen.»
Echte Figuren
Derweil hämmern und sägen die Arbeiter im Schiffbau am aufwendigen Bühnenbild. Es zeigt das zweistöckige Haus und den Garten der Familie Häfeli. In jedem Akt ist es aus einer anderen Perspektive zu sehen.
Enthusiastisch erzählt Levy von seinem Projekt. Manchmal rutscht ihm dabei das Wort «Film» heraus, wenn er das Stück meint, so verhaftet ist er in seiner Film-Welt. Einige Parallelen zum Film sind auch in der Inszenierung auszumachen. So sind einige Szenen mit Musik unterlegt, und das Stilmittel Video kommt oft zum Einsatz. «Ich will eine Umsetzung für die Bühne finden, welche nicht abstrahiert ist, sondern die Realität abbildet»,
betont er. Die Spielart soll so präzise wie möglich sein – keine Theaterfiguren, sondern echte Figuren aus dem Leben. Denn: «Wir sind alle auf irgendeine Art Wohlstädter.»
Dani Levy wurde 1957 als Sohn jüdischer Eltern in Basel geboren. Nach dem Abitur und einer Zeit als Clown und Akrobat war er als Bühnen- und Filmschauspieler tätig. In den 80ern stand er in der Serie «Motel» als Küchenbursche Peperoni vor der Kamera. 1986 legte er mit «Du mich auch» sein Regiedebüt beim Film vor. Zahlreiche weitere Filme folgten, in denen er meist auch das Drehbuch schrieb. Zum grössten Erfolg wurde die turbulente Filmkomödie «Alles auf Zucker!» über eine jüdische Familie (siehe Seite 16). Der Regisseur lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Berlin. Nebst der Theaterinszenierung in Zürich arbeitet er zurzeit an einem neuen Kino-Film. «Der kleine Diktator» soll eine Familienkomödie werden, in deren Mittelpunkt eine alleinerziehende Mutter mit einem hyperaktiven Sohn steht, wie Levy verrät.
Schweizer Schönheit
Premiere: Fr, 20.2., 20.00
Schauspielhaus Zürich