Wenn Bob Dylan immer wieder grüssen lässt
Die Geschichte von Pop und Jazz ist auch die Geschichte des Coverns: Musiker und Bands spielen bestehende Songs nach. Die Resultate reichen von getreuer Kopie bis zum eigenständigen Kunstwerk.
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Kulturtipp 01/2012
Urs Hangartner
Eine Cover-Version ist die Neuinterpretation eines Stückes durch einen anderen Musiker. Sie kann der Originalkomposition relativ treu nachgespielt werden. Der Musiker oder die Band kann die Neuinterpretation aber auch dem eigenen Charakter anpassen, oder sie kann bis zur Unkenntlichkeit verfremdet werden.
Vor allem die Popgeschichte kennt das Motiv des kommerziellen Kalküls von Cover-Versionen: Ein bereits erfolgreicher Titel gilt als Erfolgsgarant, dass er auch...
Eine Cover-Version ist die Neuinterpretation eines Stückes durch einen anderen Musiker. Sie kann der Originalkomposition relativ treu nachgespielt werden. Der Musiker oder die Band kann die Neuinterpretation aber auch dem eigenen Charakter anpassen, oder sie kann bis zur Unkenntlichkeit verfremdet werden.
Vor allem die Popgeschichte kennt das Motiv des kommerziellen Kalküls von Cover-Versionen: Ein bereits erfolgreicher Titel gilt als Erfolgsgarant, dass er auch in nachgespielter Version ankommt. Anders gesagt: Wer einen beliebten Elvis-Song covert, kann eigentlich nichts falsch machen.
Aber auch der Umkehrfall kommt vor: Bekannte Interpreten machen ein Stück, das bislang keine grosse Beachtung fand, bei einem breiten Publikum populär. Das geschah in den 1960ern, als Grössen wie die Beatles oder die Rolling Stones Songs von mehrheitlich schwarzen Musikern coverten, die dadurch Bekanntheit erlangten. Willie Dixon, Jimmy Reed, Rufus Thomas, aber auch Chuck Berry wären ein paar Namen.
Weit verbreitet sind Hommagen, Tributes oder Ehrbezeugungen: Ein Künstler erweist mit der Aufnahme eines Fremdtitels in sein Repertoire einem anderen Künstler die Reverenz. Denn es ist eine künstlerische Herausforderung, den Song eines andern neu zu spielen.
«The Wall» als Country
Die Geschichte des Coverns kennt Sonderfälle, wo ganze Alben neu interpretiert werden. Darunter gibt es Kuriositäten wie «Rebuild The Wall» (2002) von Luther Wright & The Wrongs, die das Pink-Floyd-Album «The Wall» coverten – als Country-Album! Oder die US-amerikanische Indie-Band The Flaming Lips spielte 2010 das Album «Dark Side Of The Moon» komplett nach. Und Singer-Songwriter Rufus Wainwright rekonstruierte 2007 das legendäre Konzert von Judy Garland in der Carnegie Hall von 1961 auf der gleichen Bühne. Ganz dem Schaffen von Robert Wyatt und Antony & The Johnsons widmeten die Schwestern Rachel und Becky Unthank ihr Konzertprogramm «Diversions Vol. 1».
Ins pophistorische Kapitel Kuriositäten gehört das Phänomen Eigen-Cover: Um auf dem lukrativen deutschen Markt zu reüssieren, haben angelsächsische Stars in den 1960ern deutsche Versionen ihrer Hits eingespielt, meist in phonetisch auswendig gelernten Fassungen, die heute komisch wirken. So sang Johnny Cash sein «Walk The Line» schlagermässig als «Wer kennt den Weg surugg» (zurück). Chubby Checker interpretierte «Let’s Twist Again» auf Deutsch als «Der Twist beginnt» und sein «Twistin’ Around The World» als «Twist doch mal mit mir».
Dylan auf Berndeutsch
Bob Dylan gilt als einer der am meisten gecoverten Künstler der Popgeschichte. Unzählige Male sind seine Songs von anderen interpretiert worden, die damit teilweise erfolgreicher waren als Dylan selbst. Und die Tendenz hält an. Polo Hofer hat letztes Jahr ein ganzes Doppelalbum mit seinen Dylan-Covers von 1981 bis 2011 veröffentlicht – natürlich in Berner Mundart.
Stück für Stück sang die 1979 geborene Singer-Songwriterin Thea Gilmore aus Oxford das Dylan-Album «John Wesley Harding» (1967) nach – relativ getreu dem Original und gedacht als Geburtstagsgruss zu Dylans Siebzigstem. «Da hat das alte Raubein aber ein feines neues Gewand erhalten», befand der deutsche «Rolling Stone» anerkennend zu Gilmores Cover-Aktion.
Vor Dylan machen selbst Jazzer nicht halt. Aktuelles Beispiel ist das Zürcher Ghost Town Trio, das mit seinem neuen Album «No Tits But Hits» derzeit auf Tour ist (siehe Tipps unten). Dylans frühen Protestsong «Masters Of War» modeln die drei Jazzer zur rhythmisch durchgeschüttelten Rockjazz-Nummer um und lassen den Text kurzerhand weg. Anders Phall Fatale, das Avantgardequintett des Luzerner Drummers Fredy Studer. Joy Frempong singt «Desolation Row» als träg-schleppenden, von sirrender Elektronik durchzogenen Walking Blues.
Huldigung an Popidole
Solche Covers belegen die Annäherung von Jazz und Pop, die der Verschmelzung von Jazz und Hip-Hop in den 90ern ähnelt. Junge Jazzer huldigen damit den Popbands ihrer Teenagerjahre. Auf seinem 2010er-Abum «It’s a sonic life» spielt der Zürcher Pianist Stefan Rusconi mit seinem Trio fast ausschliesslich Songs der Band Sonic Youth. Und im Projekt R.I.S.S. covern Jazzer aus Zürich und Luzern Hits von Radiohead, Nirvana, Björk.
Diese zwei Beispiele illustrieren, wie Jazzer klingen, wenn sie covern: Frecher und kreativer als manche Pop- und Rockbands. Denn das Covern gilt im Jazz als eigene Disziplin: Jazz gründet – ähnlich wie die Klassik – im Nachspielen eines Kanons, bestehender und bekannter Stücke also. Statt Mozart und Beethoven heissen die Altväter Duke Ellington, Charlie Parker oder Theolonious Monk.
Wer sich entwickeln will, steigert das Covern zur Kunstform, indem er bekannte Stücke umformt und damit zur fast eigenen Musik macht. Bekanntes Beispiel ist die Neufassung der Gershwin-Oper «Porgy and Bess» von Miles Davis und seinem Arrangeur Gil Evans. Das 1958 erschienene Album ist selbst Teil des Jazz-Kanons geworden.
Jazzer schreiben ihre eigene Musikgeschichte also fort, wenn sie Popsongs übernehmen. Besonders erfreulich: Immer mehr Popbands wagen sich nun auch an Jazz-Standards heran.