Keine einfache Kost mutet Dorothee Elmiger ihrer Leserschaft zu: Das neue Werk lotet noch stärker als ihr Debütroman «Einladung an die Waghalsigen» die Möglichkeiten der Literatur aus – eine Handlung fällt weitgehend weg. «Die Leerstellen erschweren den Zugang zu meinem Text möglicherweise, vor allem, wenn der Leser eine bestimmte Erwartungshaltung hat», sagt die Autorin bei einem Tee in einem Zürcher Café.
Ein Roman mit einer klassischen Handlung würde sie beim Schreiben wohl langweilen, meint sie. «Mir gefällt das Konzentrierte. Beim Schreiben will ich etwas über die Sprache herausfinden.» Bei diesen Worten schwingt keine Spur von Dünkel mit, sie sagt es so, als ob sie selbst erstaunt darüber wäre, und ergänzt mit einem Lachen: «Ich nehme mir ja nicht vor, etwas Verrücktes zu schreiben, aber die Form ergibt sich wie von selbst aus dem gesammelten Material.» Das Schreiben sei für sie eine Möglichkeit, sich intensiv mit etwas auseinanderzusetzen – ihr Zugang zur Welt gewissermassen.
Sie setzt den Roman «Schlafgänger» als eine Art «Gesprächsdickicht» um, mit einer Mischung aus Fakten und Fiktion: Ihre Figuren philosophieren über Grenzen und Migration, über Heimat und Gerechtigkeit – und über Schlaflosigkeit. «Das hat mich als Phänomen interessiert», sagt Elmiger. «Wenn der Mensch schläft, ist er verletzlich. Der Schlaf ist ein Grundbedürfnis und doch sind die Umstände, wie und wo jemand schläft, ganz unterschiedlich.» Beschäftigt hat sie sich etwa mit Asyl-Unterkünften und sich gefragt, wie dort der Schlaf organisiert wird.
Eine andere Sprache
Die Autorin geht mit wachem Blick durch die Welt, besonders was den Umgang mit der Sprache betrifft. «In meinem Roman wollte ich das Gespräch über Flüchtlingsthemen in einer anderen Sprache führen, als es in der Öffentlichkeit geschieht.»
Dorothee Elmiger, die nach einigen Jahren in Berlin in einer WG in Zürich lebt, ist eine Weltenwanderin: Ihre Appenzeller Heimat war ihr immer etwas zu eng. «Ich hätte mir mehr Mitstreiter gewünscht, die auch in die Welt hinaus wollten», erinnert sie sich. Stattdessen hat sie erste heimliche Schreibversuche gemacht. Erst an den Literaturinstituten in Biel und Leipzig hat sie ihr Schreiben nach aussen getragen. Von da an ging es steil aufwärts: 2010 erhielt sie in Klagenfurt den renommierten Kelag-Preis und wurde für den Schweizer Buchpreis nominiert.
Das enorme Medieninteresse am neuen Schweizer «Shootingstar» der Literaturszene hat sie überrascht: «Ich habe früher nie daran gedacht, was alles zur Schriftstellerei gehört.» Am wohlsten fühlt sie sich nach wie vor am Schreibtisch. Bei Auftritten habe sie oft mit Lampenfieber zu kämpfen, obwohl man es ihr nicht anmerke. Dafür schätzt sie die Reisen, die Lesungen mit sich bringen. Und dazwischen bleibt ihr sogar Zeit für ihr Studium der Politikwissenschaften und ihren Brotjob als Transkriptorin – ein kluger Kopf, der wohl noch für literarische Überraschung sorgen wird.
Dorothee Elmiger
«Schlafgänger»
142 Seiten
(Dumont 2014).