Der französische Künstler Kader Attia ist ein politischer Aktivist. Aus Algerien stammend treiben ihn die Folgen des Kolonialismus und die Benachteiligungen der nordafrikanischen Bevölkerungsgruppen in Frankreich um. So ist sein Werk «Demo(n)cracy» politisches Programm. Der 45-Jährige bringt seine Kritik an westlichen Demokratien zum Ausdruck, von deren Errungenschaften nicht alle gleichermassen profitieren können.
Vielfältige Antworten
Das Zürcher Kunsthaus zeigt diese Installation in einer neuen Ausstellung mit dem Titel «Europa. Die Zukunft der Geschichte» und stellt die Frage: «Welches Bild steht für Europa?» Wie vielfältig die Antworten ausfallen, dokumentieren nun 100 Werke von 50 Künstlern, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben: Darunter der französische Maler Honoré Daumier, das Schweizer Duo Fischli/Weiss oder Paul Klee.
Gesellschaftskritiker Attia hätte sich wohl nie träumen lassen, dass er jemals in einer Ausstellung mit dem Basler Symbolisten Arnold Böcklin (1827–1901) zu sehen sein wird. Dieser setzte seine Vorstellung von «Freiheit» mit einer Frauenfigur um, die den Betrachter an Justitia gemahnt und mit einer Jakobiner-Mütze versehen ist.
Hinter diesem Werk versteckte sich ein weltanschaulicher Zwist, wie der deutsche Kunsthistoriker Albert Ottenbacher schreibt: Böcklin bekam 1890 den Auftrag, zum 600-jährigen Bestehen der Eidgenossenschaft eine «Bundesmedaille» zu entwerfen. Er zeichnete eine personifizierte Freiheit mit Wappenadler und Palmzweig, die siegreiche Stärke und paradiesische Verheissung versinnbildlichen.
Mütze des Anstosses
Doch den Auftraggebern waren die Gesichtszüge dieser Helvetia angeblich zu wenig klassisch antik. Tatsächlich nahmen sie laut Ottenbacher eher Anstoss an der Mütze, die sie zu sehr an die Französische Revolution erinnerte. Sie entzogen Böcklin den Auftrag für die Gedenkmedaille. Der Meister malte danach «Die Freiheit» nach seinen eigenen politischen Vorstellungen mit farblicher Betonung der Trikolore und verkaufte sie ins Ausland.
So ergeben sich überraschende Parallelen zu Kader Attia: Beide Künstler verstanden ihre Werke politisch, beide wollten dem Betrachter eine kritische Sicht der institutionellen Verhältnisse vermitteln und schreckten vor einem propagandistischen Ansatz nicht zurück.
«Die Ausstellung will die Darstellungsformen des Gesellschaftswunsches nach einem friedlichen Europa ideengeschichtlich nachzeichnen», heisst es im Katalog zur Schau. Sie wird vor allem zeigen, wie sehr dieses friedliche Europa eine Utopie bleibt – im 19. wie im 21. Jahrhundert.
Europa. Die Zukunft der Geschichte
Fr, 12.6.–So, 6.9. Kunsthaus Zürich