Inbrünstig singt Thione Seck über galoppierenden Percussions. Seine Mbalax-Musik klingt hitzig – und ungewohnt. Bei Radio Keur Massar, im gleichnamigen Bezirk der Stadt Pikine stationiert, gehört solch senegalesischer Sound zum Programm. Der Sender ist einer von tausenden Lokalradios, die sich auf der Website radio.garden und in der dazugehörigen Smartphone-App direkt auf dem dreidimensionalen Globus anwählen und hören lassen. Gesteuert wird radio.garden, das eine flotte Internetverbindung voraussetzt, ähnlich wie Google Maps: rauszoomen, die Weltkugel drehen, und schon taucht zum Beispiel Kuba am Bildschirmrand auf.
Bei Radio Surco in Ciego De Avila läuft gerade «El Poder De Las Mujeres» von der Latin-Band Sur Caribe. Das Lied ist noch nicht zu Ende, da liest der Moderator bereits in rasantem Spanisch die Nachrichten.
Und Tschüss: Kuba wird mit der Maus weggeschubst, und schon klingt Radyo Pegai 88.0 aus den Boxen. Gesendet wird aus der Kleinstadt Biga im Nordosten der Türkei. Hier geht es entspannter zu: Sängerin Müzeyyen Senar gibt «Benzemez Kimse Sana» zum Besten. Ihre türkische Kunstmusik spiegelt die Uhrzeit: In der Schweiz ist es 23 Uhr, auf Kuba 17 Uhr, und in der Türkei ist vor einer Stunde der neue Tag angebrochen.
Kultur transportieren über Landesgrenzen hinweg
Wer mit radio.garden um die Welt reist, wird nicht nur musikalisch überrascht, sondern bekommt auch lokale News aufs Ohr. Momentan werden diese überall von der Corona-Pandemie bestimmt: Sie verunmöglicht das reale Reisen. Akustischen Reisen aber – um das Fernweh zu bekämpfen – steht nichts im Weg.
Radio.garden entstand 2015 als Ausstellungsprojekt am Netherlands Institute for Sound and Vision und wird heute von einem Team in Amsterdam betreut. Erklärtes Ziel ist es, über Landesgrenzen hinweg Kultur zu transportieren und die Verbindung zur «Heimat» aus tausenden Kilometern zu ermöglichen.
Nach einem Schwenker in den Süden erklingt der ägyptische Sender Al-Abd Hob al Nabi, wo gerade Gebetsrufe intoniert werden. Lokalradios liefern mehr als nur ländertypische Musik. Sie transportieren ungefiltert regionale Eigenheiten. So stolpert man etwa in Sri Lanka und Kasachstan über streitlustige, rasant sprechende Moderatoren. Dass man oft kein Wort versteht, ist nebensächlich. Die Freude an den Stimmungsbildern überwiegt.
Optisch überzeugt radio.garden vor allem im Browser am grossen Bildschirm. In der kostenlosen App wird alle paar Minuten Werbung eingeblendet. Und manchmal knistert es gehörig in der Leitung, was die Authentizität aber eher erhöht, als stört.
Ein Dreh auf dem Globus, und die Reise geht weiter
Wer Songs erkennen will, benützt die kostenlose App Shazam oder die angegebene Website der Sender. Hat man ein neues Lieblingsradio entdeckt, kann dieses als Favorit gespeichert und in Zukunft schnell angewählt werden.
Ein weiterer Dreh an der Kugel führt ins indische Dumka, wo bei Raha FM gerade zu mantrahaftem Gesang die Sitar gezupft und geflötet wird. Gewöhnungsbedürftig – und flugs kreist der Globus erneut.
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