kulturtipp: Maxim Vengerov, über Jahre hinweg wurde Ihnen das Attribut «Bester Geiger der Welt» zugeschrieben. Ein schwieriges Kompliment?
Maxim Vengerov: Als der grosse Jascha Heifetz einst gefragt wurde, ob er selbst denke, er sei der beste Geiger der Welt, antwortete er: «Nein, ich bin der zweitbeste.» Als man ihn fragte, wer dann der beste sei, antwortete er: «Es gibt so viele!» Geige spielen ist kein Sport.
Die ganze Welt kennt Nigel Kennedy oder David Garrett. Ist der Beste gar nicht der Berühmteste?
Die Welt verändert sich. Vor 50 Jahren waren Geiger wie Jascha Heifetz oder David Oistrach ohne Konkurrenz, was die Medien betraf. Es gab das Fernsehen, das Radio und die Schallplatte, aber am wichtigsten für sie war der Konzertsaal. Heute ist das anders, junge Leute benutzen neue Kanäle. Aber ich habe vor einem Künstler wie David Garrett dennoch Respekt. Er nahm bei mir ein paar Geigenstunden, als er neun Jahre alt war; ich war 15. Die Medien machen aus solchen Künstlern manchmal eine Produktionsmaschine, ein Geschäft: Das hat dann nichts mehr mit Kunst zu tun.
Hatten Sie jemals Angst vor Kollegen?
Wenn Sie in diesem Beruf vor irgendetwas Angst haben, dann hat es mit Kunst nichts mehr zu tun. Wir lieben die Kunst. Und denken wir auch nur einen Moment, der eine zeige mehr Engagement oder spiele besser, verlieren wir unsere kreative Seite. Wenn wir nur ans Geschäft denken und meinen, immer noch mehr Geld für Konzerte erhalten zu müssen, immer noch mehr geben zu wollen, dann werden wir zu Sportlern: Dann wird unser Tun ein Wettbewerb.
Bereits als Kind traten Sie in berühmten Sälen auf. War Ihnen nicht unheimlich zumute?
Ich war immer ein furchtloses Kind und liebte es aufzutreten. Alles, was ich in meinem Leben tat, war, mich auf Konzerte vorzubereiten: Warum sollte ich mich fürchten, da ich soviel für die Musik tat, für sie lebte? Angst hat im Konzertsaal keinen Platz.
Wer wird heute berühmt, wer hat Erfolg? Oder: Warum Sie?
Ich mag dieses Thema nicht, aber ich kann es auch nicht verschweigen: Kunst verkauft man heute nicht nur als Kunst, sondern auch als Produkt. Es herrscht nicht mehr die reine Interaktion zwischen Künstler und Komponist oder zwischen Künstler und Zuhörer. Der Künstler wäre doch eigentlich dazu da, der Musik zu dienen. Wenn Sie wollen, gehen Sie so weit wie der 1962 verstorbene Geiger Fritz Kreisler, der sagte: «Jeder Musiker ist ein Priester.» Es ist etwas Heiliges, wenn wir Beethoven aufführen dürfen.
Viele Konzertveranstalter verzichten auf den Heiligenschein. Sie wollen Geld machen.
Heute genügt Bachs Musik nicht mehr. Wir müssen ihn mit Perkussion und mit Arrangements verbessern, nur so kommt er offenbar bei den Jungen an. Das ist die McDonaldisierung der Musik.
Crossover ist des Teufels?
Nein, das kann auch gut gemacht sein. Es gibt Platz für Crossover – aber gibt es nicht ebenso viel Platz für die Klassik? Warum soll man klassische Musik aufpeppen?
Was ist speziell an Ihrem Spiel?
Der Klang. Das ist mein Fingerabdruck, mein Markenzeichen.
Sie kommen nach Luzern ans Festival Zaubersee. Am Eröffnungsabend alternieren Sie mit der jungen Geigerin Vilde Frang, die 2012 in Luzern den Credit Suisse Artist Award erhielt. Ein Wettbewerb zwischen zwei völlig unterschiedlichen Geigen-Philosophien.
Ein Wettbewerb ist interessant zwischen Leuten, die dasselbe Wissen haben, dasselbe Profil und die gleichen technischen Möglichkeiten. Vilde und ich sind zwei unterschiedliche Kategorien, sie ist talentiert, reich beschenkt, aber sie ist viel jünger, hat nie dirigiert. In meinem Geigenklang, in meinem genetischen Code, liegt viel Wissen, und der sprengt jede Wettbewerbskategorie. Nehmen Sie jemanden von der Strasse, verbinden Sie ihm die Augen. Dann lassen Sie ihn zwei Geiger hören und bestimmen, wer der beste ist: Er wird nicht fehlen.
Maxim Vengerov
Maxim Vengerov wurde am 15. August 1974 im russischen Nowosibirsk geboren. Mit 13 kam er nach Lübeck zum Geigenlehrer Zakhar Bron, später wurde er von Mstislaw Rostropowitsch und Daniel Barenboim beeinflusst. Der Gewinner des Internationalen Carl-Flesch-Wettbewerbs trat ab 20 in grossen Sälen auf und spielte zahlreiche CDs ein. 2005 machte er ein Sabbatical, lernte Jazz, Tango und Dirigieren. Der Geiger verschwand. Erst seit kurzem spielt er wieder – unter anderem in Luzern und Verbier.
CDs
Maxim Vengerov
Classic Albums
5-CD-Box (EMI 2013).
Phenomenal Vengerov! 3 CDs (EMI 2011).
Konzerte
Festival Zaubersee Luzern
Mi, 22.5., 19.30
Hotel Schweizerhof Luzern
So, 26.5., 11.00 KKL Luzern
www.zaubersee.org
Verbier Festival
Mi, 31.7., 19.00 Salles des Combins Verbier
Fr, 2.8., 20.00 Eglise Verbier
www.verbierfestival.com