Donnerstag, 13. Oktober
In den frühen Nachmittagsstunden erfahre ich, dass dem als Bob Dylan bekannten US-amerikanischen Sänger und Dichter Robert Zimmerman von der schwedischen Akademie der Literaturnobelpreis zugesprochen worden ist.
Sofort stelle ich mir vor, wie grosses Fuchteln, Barmen und Suchen herrscht bei diversen deutschsprachigen Verlagen, die sich sicher sind, dass sie irgendwo eventuell doch noch ein Büchlein von oder über Bob Dylan in den Palettenlagern haben, welches sie jetzt günstig in die Buchhandlungen stellen könnten.
Ich greife nur lässig ins Regal hinter mir. Bob Dylan: «Texte und Zeichnungen». 1975 by Zweitausendeins. Das war einst nicht nur ein Verramscher und Billigladen, sondern auch ein Verlag, sozusagen das buchhändlerische Zauberwort meiner ersten Lebenshälfte. Zweitausendeins mit Autoren wie Robert Crumb, Eckhard Henscheid, Nelson Algren und vielen anderen. Wunderschön gemachte Bücher! Das waren noch Zeiten. Ja, und Dylan hat den Nobelpreis verdient.
Sonntag, 16. Oktober
Das Lesen von Büchern scheint mir in diesen herbstlichen Tagen eine der wenigen Tätigkeiten von sittlicher Vernunft zu sein. Fast ein halbes Jahr konnte ich jedoch dem Lesen im Liegen nicht mehr nachgehen. Fürchterlich schmerzten mich Rücken und Hüfte, keine noch so ausgefuchste Leselage hielt ich länger durch. Da empfahl mir meine mittlere Tochter das Training in einem Fitness-Club. So stemme ich jetzt frohgemut etliche Gewichte und ziehe und zerre an meiner Muskulatur. Fast erwarte ich, dass John Irving, der alte Freistilringer, um die Ecke kommt und wir uns gegenseitig an Bizeps und Trizeps gehen. Freue mich auf den Abend, an dem ich schmerzfrei flachliegen und in Dylans Texten schmökern kann.
Donnerstag, 20. Oktober
Stehe an der Buchmesse Frankfurt inmitten des Schweizer Gemeinschaftsstands und warte darauf, dass die Reden des alljährlichen Empfangs verklingen, damit man sich endlich dem reichhaltigen Apéro widmen kann. Vorher wabern noch die Worte eines Schweizer Cheffeuilletonisten durch den verstellten Raum. Wenn ich es recht verstehe, warnt er die jungen Schweizer Literatinnen und Literaten davor, so zu schreiben wie Robert Walser. Ich hätte die jungen Kolleginnen und Kollegen eher davor gewarnt, so zu leben wie Robert Walser. Aber egal, der ausgeschenkte Weisswein ist wie jedes Jahr von guter Qualität.
Mittwoch, 8. November
Entnehme den bedrückten Mienen meiner Bekannten und Freunde, dass Donald Trump Präsident der USA geworden ist. Fühle kurz etwas Verzweiflung, aber unsereiner hat schon Nixon, Reagan und die beiden brennenden Dornbushs überlebt. Auch wenn Schriftstellerkollege Joshua Cohen in einem Interview meint, dass die Amerikaner Trump gewählt hätten, weil sie sich nach Selbstzerstörung sehnten. Der Mann, also Cohen, ist noch jung, das Postfaktischpopulistische beziehungsweise die Erkenntnis, dass Politiker lügen müssen, empört ihn noch. Aber wie war das mit Obama, der war ja auch nur eine Projektionsfläche, auf der man alles Gute kurz flackern sah, bevor es endgültig erlosch.
Freitag, 11. November
Treibe mich an der Eröffnungsfeier des Literaturfestivals BuchBasel herum. Frage mich, warum hier so etwas Redundantes und völkisch Befrachtetes wie der Begriff Heimat das Oberthema sein soll. Im Zuge der weltweiten Fluchtbewegungen scheint es doch darum zu gehen, dass es so etwas wie einen Anspruch auf Heimat, ja, die Heimat selbst nicht mehr gibt. Die Eröffnungsrede zum Thema erscheint mir etwas wohlfeil zusammenzitiert und, ja, sozialdämmerkratisch. In der Tat sind diverse hohe Basler Genossinnen und Genossen anwesend. Wohl eher nicht, weil die Kultur sie hergetrieben hat, sondern weil gleich danach Bundesrätin Sommaruga eine Lesung hat. Oder so etwas in der Art…
Sonntag, 13. November
Draussen zieht wattewolligweisser Nebeldunst in Richtung des nahen Friedhofs Hörnli. Ich spüre meine Endlichkeit ganz deutlich und lese meiner Katze aus dem Roman «Die Toten» von Christian Kracht vor. Sie ergreift sofort die Flucht und versteckt sich auf dem Balkon des Nachbarn. Kann das Vieh auch nicht mit sorgsam ausgesuchten Sätzen aus dem Erstlingsroman von Michelle Steinbeck zurücklocken.
Darüber verpasse ich die Verleihung des Schweizer Buchpreises sowie sämtliche Lobeshymnen auf fünf Bücher, aus denen keine Katze etwas vorgelesen bekommen möchte. Bleibe länger liegen, schwere Mattigkeit hat mich überkommen. Lasse das Muskeltraining aus und schlummere noch einmal ein. Wirrer Traum, in dem ich mit Kulturbundesrat Alain Berset «in touch with Digital Creation» bei der Pro Helvetia bin. Total immersiv hängen wir beide in der virtuellen Realität der #SwissGames fest und finden fast nicht mehr in die richtige Realität zurück. Verärgert will Berset die Pro Helvetia sofort dem Militärdepartement angliedern.
Donnerstag, 17. November
Lese in der Zeitung, dass «Postfaktisch» das Wort (oder Unwort?) des Jahres ist. War zu erwarten. Frage mich, ob man das englische Original «Post-truth» nicht anders übersetzen sollte. Oder sind das Fuckten?
Entköppeln finde ich auch ein sehr schönes Wort des Jahres.
Der Titel dieses Beitrags stammt von Bernd Pfarr, einem begnadeten, leider verstorbenen Künstler, dessen Werk teilweise auch bei Zweitausendeins erschienen ist. Auf dem Umschlag der Cartoonsammlung mit dem Titel «Eines Tages war Zeus das Blitzeschleudern leid» sieht man den griechischen Göttervater mit einer Buttercremetorte hinter einer Hausecke warten.
Wolfgang Bortlik
Geboren 1952 in München, mit Unterbrüchen seit 1965 in der Schweiz lebend, momentan in Riehen BS. Über die vielen Jahre aktiv als Student der Geschichte, Briefträger, Buchhändler, Verleger, Schlagzeuger, Kritiker und schliesslich als Schriftsteller (6 Romane, 2 Gedichtbände). Im nächsten Frühling erscheint ein neuer Krimi mit dem Titel «Blutrhein». Von Anfang an am Ball bei der Schweizer Schriftsteller-Nati, zuletzt als Käpt’n, nun altershalber eher vom Spielfeldrand aus aktiv.