Die meisten Redaktionen des Landes hielten es um 1980 mit Zürichs Stadtpräsidenten Sigmund Widmer. Dieser zweifelte, ob die Rock- und Popmusik «zum kulturellen Bereich zu zählen sei». Pop, Rock und erst recht Punk gelangten höchstens als «faits divers» in die Spalten grosser Zeitungen, unter «Unfälle und Verbrechen», «Vermischte Meldungen» oder auf der «Seite der Jungen». Pionierin war ironischerweise die «alte Tante» NZZ mit dem «Journal der Popkultur», das seit den frühen 70er-Jahren über Trends in der Welt von Pop und Rock informierte. Viele Jugendliche hörten ausländische Radiostationen, Radio Luxemburg beispielsweise, später RTL oder SWF 3.
Wer um 1980 am Schweizer Radio etwa Bob Marley, Elvis Costello oder gar Liliput hören wollte, hatte nur eine Möglichkeit: «Sounds!» auf DRS 2, täglich 45 Minuten nach den 18-Uhr-Nachrichten. DRS 3 gab es noch nicht, Couleur 3 auch nicht und schon gar keine Lokalradios. Wer über seine Lieblingsbands lesen wollte, musste am Kiosk Musikmagazine aus Deutschland, England oder aus den USA kaufen. Oder die heimische «Music Scene», ein allerdings lange Zeit verschnarchtes Heft.
Der Durchbruch
Zwei Ereignisse zeigten dann, wie gross das Interesse an Pop- und Rockmusik in der Öffentlichkeit wirklich war: Ende 1979 begann Roger Schawinski, mit seinem Hit-«Radio 24» vom Grenzgipfel Pizzo Groppera in Italien viel Popmusik nach Zürich zu senden. Als Bundesbern in Rom intervenierte und so eine Abschaltung des Senders erreichte, unterschrieben innert weniger Tage 212 000 Personen eine Petition zugunsten des Piratenradios, und Tausende kamen im Januar 1980 zu einer Kundgebung auf dem Zürcher Bürkliplatz. Die Folge war, dass sich die Politik zu einer Liberalisierung der Rundfunkverordnung durchrang: Private Lokalradios wurden erlaubt, und das öffentliche Radio der SRG wurde um dritte Kanäle ausgebaut – DRS 3, Couleur 3 und Rete 3. Sie alle begannen im Herbst 1983 zu senden.
Das zweite Ereignis, welches das breite Interesse an der Rockmusik demonstrierte, war der Auftritt der Rolling Stones im Sommer 1982 im Basler St. Jakobstadion. Schnell waren alle
56 000 Billette für das bis dato grösste Openair-Konzert der Schweiz verkauft. Die Zeitungen schrieben seitenlange Vorschauen, und Radio DRS machte den 15. Juli 1982, den Tag des Konzerts, zum «Stones Day»: Von neun Uhr morgens bis Mitternacht wechselten sich DRS 1 und DRS 2 mit Berichten vor Ort und musikalischen Analysen ab.
Die heimischen Bands
Nun wurden weitere Grossveranstaltungen wie die Openairs von Frauenfeld und Leysin gegründet. Die Zeitungen begannen, ihre Berichterstattung über Pop und Rock massiv auszubauen. Auch die Subkultur geriet in den Fokus der Mainstream-Medien: Die regionalen Tageszeitungen entdeckten heimische Bands. Die wöchentliche Beilage «Music Special» der damaligen «Luzerner Neusten Nachrichten» (LNN) brachte in den frühen 80er-Jahren ebenso regelmässig Berichte über Bands aus dem Sedel wie das «Bieler Tagblatt» über jene, die im AJZ Gaskessel auftraten. Der «Tages-Anzeiger» lancierte 1983 die Veranstaltungsbeilage «Züri-Tip», ein Führer durch das Ausgangsangebot in der Stadt. Dort wurde unter der Rubrik «Züri-Bands» wöchentlich eine Band vorgestellt.
Rock und Pop tauchten nun überall auf, in der «Schweizer Illustrierten» und im «Meyers Modeblatt» sowie in der «Annabelle», im «Tele» und in der «Schweizer Familie». Zwei Untersuchungen von 1982 und 1990 des Publizistikwissenschaftlers Frank Hänecke zeigen, dass die Berichterstattung über Pop und Rock im fraglichen Zeitraum in den meisten Schweizer Zeitungen markant zunahm.
Die 80er-Jahre waren auch das Jahrzehnt des Musikfernsehens MTV, das am 1. August 1981 auf Sendung ging. Einen Videoclip zu drehen, wurde für Mainstream-Bands zum Muss, für andere eine Verlockung. Doch in der Schweiz spielte das Fernsehen für die Rockmusik weiterhin eine untergeordnete Rolle. Erstens zeigte das Schweizer Fernsehen viel zu wenig; zweitens waren MTV und andere Clipsender erst in der zweiten Hälfte der 80er zu empfangen und zeigten fast ausschliesslich internationale Hits.
Die «Störsender»
Wichtigstes Medium für die Verbreitung der Rockmusik war das Radio – und für alle Klänge abseits des Mainstreams waren dies die dritten Kanäle der SRG, also Couleur 3, Rete 3 und vor allem DRS 3. Der «amtl. bew. Störsender» (Eigenwerbung) spielte Schweizer Produktionen, brachte Konzerthinweise, übertrug live Konzerte einheimischer Bands und beschäftigte sich in abendlichen Spezialsendungen noch eingehender mit den ungestümen Klängen aus schweizerischen Übungsräumen und Kulturzentren. Der «Störsender» stiess damit beim Publikum auf offene Ohren: 1985 und 1986 erreichte er mit einem total wilden Musikprogramm einen Marktanteil von 16 Prozent – ein Wert, den das längst «mehrheitsfähig» gewordene DRS 3 erst 2009 übertraf.
Stars als Werbeträger
Die 80er waren auch das Jahrzehnt, als Popstars zu Werbeträgern wurden. Weltkonzerne wie Pepsi Cola begannen Weltstars wie Michael Jackson und Tina Turner zu sponsern. Und in der Schweiz entwickelte der damalige Bankverein ein Vorverkaufssystem, um junge Menschen zu erreichen: Den Ticketcorner.
Am Ende des Jahrzehnts engagierten sich Schweizer Musiker für die Abstimmungskampagne zur Abschaffung der Armee. Viele Bands der Post-Punk-Szene steuerten Songs zur «Stop the Army»-Compilation bei. Mit dem Konzert im Oktober 1989 auf dem Bundesplatz trugen Bands wie Züri West das hochbrisante Thema in die Kulturspalten. Die Bands, die sich gegen die Armee engagierten, gehörten zwar zur Minderheit – mit 35 Prozent Ja-Stimmenanteil sprachen sich am 26.11.1989 allerdings völlig unverwartet rund eine Million Menschen für eine Abschaffung der Schweizer Armee aus. Rock war Mainstream und subversiv.