Die Diskothek «Lover’s Lane» in Mönchengladbach, 1971: Bob Dylan jault aus den Boxen, und Rauch wabert durch den Raum. Da übertönt ein edel gekleideter Herr die Geräuschkulisse: «Ein Staubsauger, ich brauche einen Staubsauger!» Mit diesem möchte er die über den Boden verstreuten Brillanten einsammeln, mit denen er wohl gerne angeben wollte. Schnell wird geholfen – Türsteher und Barkeeper der Disko kennen den Mann.
So wie auch die meisten anderen Besucher. Edward Kray oder Diamanten Eddie, wie er auch genannt wird, ist ein bunter Hund. Ehemalige Freunde sagen: «Wer Diamanten Eddie nicht kennt, ist nicht aus Mönchengladbach.» Er gilt als Gentleman und Gauner zugleich, denn eines ist unbestritten: Die Brillanten stammen zwar aus einem Juweliergeschäft, doch ehrlich erworben sind sie nicht.
Die 1984 geborene Sabine Kray hat ihren Opa nie kennengelernt. Zwar erzählten ihre Eltern zahlreiche Anekdoten über ihn, doch was wahr ist, wusste oft nicht einmal ihr Vater so richtig. Die neugierige Kray begab sich auf Spurensuche nach dem Grossvater. Diese führte sie quer durch Deutschland nach Polen. In unzähligen Stunden in Archiven und auf Ämtern recherchierte die Autorin die Lebensgeschichte ihres Vorfahren. Dutzende Gespräche mit ehemaligen Barkeepern und Trinkkumpels, mit Berufsverbrechern und Polizisten vervollständigten das Bild vom verstorbenen Gauner.
Dessen Leben war zwar zwischenzeitlich rosig und fröhlich, begann aber alles andere als glücklich. Als 15-jähriger verlor Edward Kray 1939 bei einem deutschen Luftangriff fast seine komplette Familie. Kurz darauf wurde er von der Gestapo aus seiner polnischen Heimatstadt Zamosc verschleppt und als Zwangsarbeiter nach Deutschland verfrachtet. Über die ganze Dauer des Krieges führte sein Weg durch Arbeits- und Straflager; sein Leben war von Pein, Angst und Erniedrigung geprägt. Dies alles behielt der spätere Juwelendieb für sich.
Die Fassade wahren
Bis auf wenige Jahre nach Kriegsende konnte die Autorin das meiste rekonstruieren. So ist ein biografisch geprägter Roman entstanden, in dem Sabine Kray geschickt die Zeitebenen wechselt und die Spannung hochhält. Sie zeigt mitunter beschönigend die beiden Menschen, die in Edward Kray stecken: Den leidgeplagten Kriegsgefangenen und den späteren Berufsverbrecher, der mit Schneidbrenner und Dietrichen hantierte.
Er brachte nach dem Krieg etliche Juweliere um ihre Ware, benutzte dabei aber nie Waffen und galt sogar bei der Polizei als Gentleman. Ein sympathischer Ganove, der gerne über die Stränge schlug und seine traurige Vorgeschichte gut zu verstecken wusste. So lange, bis die Fassade bröckelte und ihn sein Kriegstrauma einholte.
Sabine Kray
«Diamanten Eddie»
699 Seiten
(Frankfurter Verlagsanstalt 2014).