Martin Walser ist ein streitbarer und umstrittener Autor. Immer wieder hat sich der eigenwillige Mann vom Bodensee (86) mit der Literaturszene aufgerieben und eine innere Zerrissenheit offenbart, die auch sein Werk prägt. In seiner erfolgreichsten Novelle «Ein fliehendes Pferd» geht es um verschiedene Lebensentwürfe; die Theaterfassung ist aktuell in St. Gallen zu sehen (siehe Seite 11). Eine Nebenfigur daraus wurde zur Hauptfigur in Walsers «Schwanenhaus», einem 1980 erschienenen Schlüsselroman seines umfangreichen Werks.
Dr. Gottlieb Zürn lebt mit seiner Frau und vier Töchtern am Bodensee. Als Immobilienmakler ist er wenig erfolgreich, weil zu «anständig». Ihm geht es nicht um Konkurrenzkampf, Geld und Karriere. Er liebt innere Werte wie Schönheit und Edelmut, die er auch als heimlicher Dichter pflegt. Als er den Kampf um die symbolträchtige Jugendstilvilla «Schwanenhaus» verliert, gerät Gottlieb Zürn in eine Lebenskrise.
Zürn taucht später auch in den Romanen «Jagd» (1988) und «Der Augenblick der Liebe» (2004) auf; Verwandte von ihm zudem in weiteren Walser-Büchern. Kein Wunder: Der wertkonservative Sonderling trägt wesentliche biografische Merkmale seines Autors. Walser lebt am Bodensee, ist Vater von vier Töchtern und tut sich zunehmend schwer mit seiner Umwelt und dem Älterwerden.
Martin Walser
«Das Schwanenhaus»
233 Seiten
Erstausgabe: 1980
Erhältlich als Suhrkamp Taschenbuch.
Fiktionale Geschichtslektion
Mit dem Schlüsselroman «Die Blechtrommel» schrieb der deutsche Autor Günter Grass ein packendes
Sittenbild der Kriegszeit – aus der Sicht von unten.
Der Literaturkritiker Malte Herwig belegt in seinem Sachbuch «Die Flakhelfer», in welchen Gewissensnöten deutsche Schriftsteller steckten und stecken, die in ihrer frühen Jugend unter dem Nationalsozialismus litten – und mitmachten. Exemplarisch ist der Fall von Günter Grass, der zugab, ab 1944 als 17-Jähriger in der Waffen-SS gedient zu haben. Seine Biografie zeugt von der damaligen Verstrickung und der damit verbundene Scham in der Nachkriegszeit, als Grass zu einer Stimme des deutschen Gewissens wurde (siehe Seite 28).
Die Geschichte des kleinwüchsigen Oskars, des «Blechtrommlers», zeigt, wie es zu einem Unrechtsstaat kommen konnte. Dieser Roman verdeutlicht vor allem, wie die einfachen Menschen Täter und Opfer zugleich waren. So beobachtet Oskar scharfäugig seinen Vater Alfred Matzerath, der vielleicht gar nicht sein Vater war. In anderen Zeiten wäre Matzerath ein harmloser Kleinbürger gewesen. Doch die politischen Umstände machten ihn zum Mörder seiner Frau – und er hintergeht wiederholt seinen Sohn Oskar. Mitläufer Matzerath erstickt gegen Ende der Naziherrschaft wörtlich am Nationalsozialismus, indem er das Parteiabzeichen verschluckt; ein Russe gibt ihm den Gnadenschuss. (hü)
Günter Grass
«Die Blechtrommel»
731 Seiten
Deutsche
Erstausgabe: 1959
Heute erhältlich bei DTV.