Volkskulturfest Obwald Naturjuiz mit Echo aus Vietnam
«Obwald» ist ein Festival, wie es in der Schweiz kein zweites gibt: Dieses Jahr treffen sich Toggenburger, Vietnamesen und Obwaldner auf der Wiese im Wald.
Inhalt
Kulturtipp 14/2011
Pirmin Bossart
In der globalisierten Gegenwart hat Tradition einen schweren Stand. Entweder wird sie zugunsten des immer Neuen wegradiert oder im Schwange von Nostalgie bis zum Stillstand verklärt. Eine besondere Auseinandersetzung mit Tradition findet jedes Jahr am Volkskulturfest Obwald statt.
«Wir bringen Kulturen miteinander in Austausch. Das offenbart Trennendes und Verbindendes und schärft das Selbstwertgefühl gegenüber unserer eigenen Kultur», sagt Marti...
In der globalisierten Gegenwart hat Tradition einen schweren Stand. Entweder wird sie zugunsten des immer Neuen wegradiert oder im Schwange von Nostalgie bis zum Stillstand verklärt. Eine besondere Auseinandersetzung mit Tradition findet jedes Jahr am Volkskulturfest Obwald statt.
«Wir bringen Kulturen miteinander in Austausch. Das offenbart Trennendes und Verbindendes und schärft das Selbstwertgefühl gegenüber unserer eigenen Kultur», sagt Martin Hess. Der ehemalige Manager von Stefan Eicher und Initiant des Café Mondial an der Expo.02 hat das Festival konzipiert und leitet es seit Beginn.
Die Grundidee des Festivals, neben Obwaldner Formationen immer auch eine Gastregion aus der Schweiz und ein anderes Land einzuladen, fokussiert sich dieses Jahr auf das Toggenburg und auf Vietnam. Als Spezialist für die Auswahl der Toggenburger Beiträge konnte der Vollblutmusiker Willi Valotti gewonnen werden.
Welten nähern sich
Zwischen den Programmpunkten gibt es durchaus Zusammenhänge. «In der vietnamesischen Musik ist das Hackbrett sehr wichtig. Das Instrument ist genau gleich gestimmt wie bei den Toggenburger Formationen», sagt Hess. Und: Die Dan Bau, ein Instrument mit nur einer Saite, ist auf die Naturtonreihe gestimmt. Da rücken plötzlich Welten zusammen. «Wenn die Musikerin Thu Thuy auf dem Dan Bau einen Obwaldner Naturjuiz spielt, läuft es einem kalt über den Rücken.»
Hess reiste in den letzten Monaten mehrmals nach Vietnam, mit einheimischer Musik und Notenmaterial im Gepäck. Er machte mit dortigen Musikern Aufnahmen, die er wiederum in Obwalden und im Toggenburg zur Inspiration vorlegte. So kam es dazu, dass der Obwaldner Profimusiker Heinz della Torre, der unter anderem in der Zürcher Oper Trompete spielt, vietnamesische Stücke auf dem Büchel interpretiert. Umgekehrt spielt Thu Thuy auf ihrem Instrument neu arrangierte Stücke, die della Torre für Büchel und Kuhhorn geschrieben hatte.
Einen besonderen Akzent vietnamesischer Volksmusik setzt auch das Lotus Orchester aus Hanoi. Dessen sentimentale Weisen, die ebenfalls auf der Naturtonreihe basieren, erinnern oft sehr an den Toggenburger Juiz mit seiner Wehmut. Demgegenüber steht am Festival eine moderne Volksmusikformation wie Siidhang aus Alpnach OW auf der Bühne, von der Hess sagt, dass sie für ihn «die Zukunft der Ländlermusik» sei. «Es war ihr Wunsch, mit vietnamesischen Musikerinnen zusammenzuspielen, was wohl zu einer einmaligen Premiere von asiatisch-urschweizerischer Volksmusik werden wird.»
Den Blick weiten
Das Fremde spiegelt sich im Eigenen: Es ist dieses Wechselspiel, das den weit gereisten Hess interessiert und ihm mehr bedeutet als eine inszenierte Folklore. «Wo Tradition dergestalt zur blossen sentimentalen Gefühlsdussligkeit verkommt, wird sie zu Folklore, zum Heimatkitsch der Massenmedien, der gerade das zerstört, was er zu pflegen vorgibt.» Am Festival Obwald sind die Traditionen da, um den Blick zu weiten und Begegnungen zu ermöglichen.