In seinen Büchern leuchtete Arthur Schnitzler (1862–1931) die menschliche Seele in all ihren Facetten aus. Besonders die Liebe und Libido standen im Zentrum seiner Werke – vom «Reigen» bis zur «Traumnovelle». Mit Psychoanalytiker Sigmund Freud verband ihn eine distanzierte Freundschaft.
Schnitzlers Figuren verstricken sich oft in erotische Abenteuer, was zuweilen für einen Theater-Skandal in der gediegenen Wiener Gesellschaft sorgte. Inspiration für seine Werke holte sich der Arzt und Schriftsteller auch aus seinem eigenen turbulenten Liebesleben. Diesem geht der deutsche Literaturkritiker Volker Hage («Die Zeit», «Spiegel») nun in seinem biografischen Roman «Des Lebens fünfter Akt» nach. Er fokussiert dabei auf Schnitzlers drei letzte Lebensjahre: Der erfolgreiche Schriftsteller hatte nach dem Suizid seiner geliebten 18-jährigen Tochter Lili 1928 seine Lebensfreude verloren, doch die Frauen umschwärmten den 66-Jährigen weiterhin: Seine Ex-Frau, die Schauspielerin Olga, würde am liebsten wieder bei ihm einziehen, und seine Geliebte, die Schriftstellerin Clara, versucht, ihn mit allen Mitteln zu halten.
«Wie ein verliebter Jüngling»
Der steten Vorwürfe der beiden Frauen leid, trifft er sich am liebsten mit der jungen Hedy, die keinerlei Erwartungen an ihn hat und ihm von ihren erotischen Erlebnissen erzählt. Und «wie ein verliebter Jüngling» fühlt er sich schliesslich bei der 36 Jahre jüngeren und verheirateten Übersetzerin Suzanne, die seine Liebe flammend erwidert.
So aufreibend und schwierig zu koordinieren die vier Parallel-Beziehungen auch sind: Mit ihnen erträgt er seine Traurigkeit, seine schwindenden Kräfte und Schreibblockaden besser. Sobald er aber alleine ist, kehren die inneren Dämonen zurück. Volker Hage stützt sich in seinem sorgfältig recherchierten Roman auf Tagebuchaufzeichnungen, Briefe sowie andere Zeitzeugnisse und verwebt diese geschickt mit Fiktion. Erstmals gab Schnitzlers Enkel Michael zur Recherche die bislang gesperrten Tagebücher von Lili Schnitzler frei. Im Roman vertieft sich der Dichter in die Tagebücher seiner Tochter und kommt ihr so nach ihrem Tod nochmals näher.
«Ein gewissenloser Verführer»
Volker Hage fächert verschiedene Facetten des alternden Poeten auf: Er zeigt ihn als Kenner der Seelenlandschaften, aber auch in seinem Unvermögen, seinen Frauen gegenüber ehrlich zu sein und klare Verhältnisse zu schaffen. «Ihm war bewusst, dass spätere Biografen, so es sie geben sollte, in Kenntnis der frühen Tagebücher und seiner Briefe ein Bild von ihm gewinnen müssten, das ihn als untreuen, verlogenen Mann zeigt, als gewissenlosen Verführer (…)», lässt Hage seinen Protagonisten bei der Lektüre seiner eigenen Tagebücher sinnieren. Gleichzeitig wünschte Schnitzler sich aber ausdrücklich, dass seine Tagebücher «nicht gemildert, gekürzt oder sonstwie verändert werden».
In einigen Szenen scheint auch die politische Lage im Wien Ende der 20er-Jahre durch – und das Unbehagen des jüdischen Intellektuellen gegenüber Antisemitismus und dem Aufstieg der Nationalsozialisten. Im Vordergrund stehen aber Schnitzlers Liebeswirren und seine Trauerarbeit. Das ergibt zwar kein vollständiges, aber ein persönliches Bild des Dichters und liefert einen spannenden Einblick in die Inspirationsquellen seines Werks.
Buch
Volker Hage
Des Lebens fünfter Akt
320 Seiten
(Luchterhand 2018)