Viviane Chassot - Bach aus der «Quetschkommode»
Die Horgnerin Viviane Chassot wollte mit 12 Jahren unbedingt J.S. Bach auf dem Akkordeon spielen. Heute ist ihr Repertoire an klassischer Musik abendfüllend.
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Kulturtipp 08/2012
Christian Berzins
Keiner ist stolz auf einen Übernamen wie «Quetschkommode». Auch Bezeichnungen wie «Die gute Tante der echten Orgel» – «Königin der Instrumente» irritieren, weil sie U- und E-Musik trennen. Viviane Chassot ists egal; sie beweist, dass sich mit dem vermeintlichen Volksmusikinstrument famos klassische Musik spielen lässt.
Stellt sich nur die Frage, wie denn das Instrument heisst, das die 32-jährige Schweizerin so virtuos sp...
Keiner ist stolz auf einen Übernamen wie «Quetschkommode». Auch Bezeichnungen wie «Die gute Tante der echten Orgel» – «Königin der Instrumente» irritieren, weil sie U- und E-Musik trennen. Viviane Chassot ists egal; sie beweist, dass sich mit dem vermeintlichen Volksmusikinstrument famos klassische Musik spielen lässt.
Stellt sich nur die Frage, wie denn das Instrument heisst, das die 32-jährige Schweizerin so virtuos spielt? «Ich nenne es Akkordeon, aber man darf auch Handorgel sagen», meint sie beim Kaffee im Basler Gundeliquartier. «Handorgel sagt immerhin klar aus, was es ist.»
Reizvolle Aufgabe
Viviane Chassot tritt dieses Jahr mit ihrem 14 Kilo schweren Akkordeon im Gewandhaus im legendären Leipziger Konzertsaal auf. Und sie war schon an anderen namhaften Klassik-Events. Etwa am berühmten Haydn-Festival in Eisenstadt. Ihr Konzert dort musste trotz anfänglicher Skepsis des Veranstalters wegen der grossen Nachfrage doppelt geführt werden. Stolz und ein wenig verschmitzt sagt sie: «Solche Aufgaben reizen mich. Man weiss nicht, was passiert, aber dann merke ich, dass ich die Leute für mich gewinnen kann.» Noch selten habe sie nach einem Konzert so viele CDs verkauft wie in Eisenstadt.
Wo ein Boom ist, da gibt es viel Mittelmass. Chassot will davon wenig spüren, deutet aber an, dass ihr Instrument lange Zeit Narrenfreiheit genoss. Warum auch nicht? Sie selbst möchte «nur» gute klassische Musik aufführen – und gehört werden: «Ich will mein Instrument breit streuen und nicht nur dort spielen, wo die Akkordeon-Freunde sowieso hingehen.» Also nicht an einem Akkordeon-Festival, sondern viel lieber an einem Domenico-Scarlatti-Marathon am Festival für Alte Musik in Zürich. «Das heisst aber nicht, dass ich nicht auch mal etwas von Astor Piazzolla spiele.»
Ihre Konsequenz zeigt sich auch bei den CDs. Andere würden, auf den Markt schielend, die schönsten Klassikhits einspielen. Chassot hingegen nahm bearbeitete Klavier- und Cembalowerke auf, von Komponisten wie Joseph Haydn und Jean-Philippe Rameau.
Die Beste Europas
Die höfliche Musikerin fordert sich mit der Werkwahl mächtig heraus. Doch Chassot scheint alle Hürden, etwa die technischen, locker zu überspringen. Alsbald fragt man sich, ob sie denn auf dem Akkordeon alles spielen könnte? «Sehr viel, mein Geschmack zeigt die Grenze auf.» Eine solche ist Beethoven. Mozart hingegen gehe viel besser. Und obwohl sie auch Janacek und bald Schumann spielt, ist die Barockmusik ihr Fundament.
Im Alter von 12 Jahren entschied sie sich am Zürichseeufer für ihr Instrument, wollte darauf unbedingt Bachs Musik spielen. Mit 26, nach Abschluss des Studiums in Bern, war sie eine der besten Akkordeon-Spielerinnen Europas. Lange war sie auch in der Szene der zeitgenössischen Musik präsent, hatte Kontakte zu Komponistenkalibern wie Heinz Holliger oder Toshio Hosokawa. Doch Chassot wollte nicht in der Neue-Musik-Schublade verschwinden.
Ausblenden wird sie diese Musik dennoch nicht.
Mitte April wirkt sie in Basel in der Uraufführung der Komponistin Isabel Klaus mit. «Grandeur nature» heisst der musiktheatralische Konzertabend – ungewollt passend zu Chassots Kunst.
[CD]
Jean-Philippe Rameau Klavierstücke
(Genuin 2011).
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[CD]
Joseph Haydn
Sonaten (Genuin 2009).
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