Flughafen Zürich, Terminal 1, «Starbucks», 11 Uhr. So wars vereinbart. Doch von Vilde Frang fehlt jede Spur. Um 11.12 Uhr klingelt das Telefon: «Der Wagen steckt im Stau, ich bin in zehn Minuten da!» Als die Norwegerin um 12 Uhr nach einem kurzen, aber intensiven Gespräch gehen muss und man sich erkundigt, wohin sie denn fliege, weiss sie es im ersten Moment nicht. Und es stellt sich die Frage: Eilt da eine völlig vom Markt eingenommene, durch die Welt jettende Geigerin zur Passkontrolle?
Der Eindruck ist natürlich falsch. Vilde Frang spielt zwar in den grossen Sälen und nimmt fürs Majorlabel EMI CDs auf. Aber dieses künstlerische Glück ist die Folge ihrer Konsequenz. Frang lebt, was sie sagt. Etwa dies: «Nur wer dem nachhört, was ihn wirklich inspiriert, kommt weiter. Wer nur dem Lehrer folgt, schränkt sich ein, geht verloren.» Bezeichnenderweise hatte die Norwegerin nicht den einen grossen Lehrer, sondern viele. Keinem war sie verpflichtet zu folgen und studierte in Olso, Hamburg und dem hessischen Kronberg.
Als sie im Januar im Kleinen Saal der Zürcher Tonhalle auftrat, zeigte Frang, dass sie die noble Kunst der Zurückhaltung kennt. Nichts vom Geigenbluff und Schönheitsfanatismus, den viele Kolleginnen zelebrieren. Es war der Abend der feinen, treffenden Gesten. Erstaunlich, dass sich jemand, der so spielt, im hart umkämpften Geigenmarkt durchsetzen konnte.
Frang sagt dazu überaus bestimmt: «Ich fand heraus, dass ich dem Publikum nichts geben kann, wenn ich mit mir selbst nicht ehrlich bin.» Dazu gehört auch, gewissen Repertoire-Heulern auszuweichen. «Kunst ist Kommunikation – wenn ich keine Beziehung zum Komponisten habe, kann ich seine Intention nicht weitergeben.» So spielt sie denn auf ihrem Solorezital mutig zwei Frühwerke von Grieg und Richard Strauss sowie ein komplexes Spätwerk von Bartok. Ihre Musik. Schon früh hatte sie Angebote, viel berühmtere Stücke einzuspielen. Frang lehnte ab: «Es gibt viele andere, die diese Werke perfekt spielen.»
«Kein Violinsport»
Ist diese in wenigen Tagen 25-Jährige überreif? Altklug? Übers Alter mag sie nicht sprechen, denn Musikmachen habe abgesehen von einigen technischen Aspekten nichts mit dem Alter zu tun. Und so fühlt sie sich auch nicht als Teil einer bestimmten Geigergeneration. Viel mehr noch. «Ich fühle mich auch nicht als Violonistin», sagt sie. «Nehme ich die Geige unter den Arm, ist es, als ob ich einen Pullover anziehe. Das ist ein Teil von mir, das ist meine Stimme. Ich kann aber nicht singen.» Die Geige sorgt für Abhilfe.
Davon, dass es da draussen einen umkämpften Klassikmarkt gibt, will sie nichts wissen. «Ich habe nie deswegen Geige zu spielen begonnen. Wenn ich die CDs meiner Kollegen mit meinen vergleichen würde, käme ich in Teufels Küche. Ich höre viel lieber Sänger oder Cellisten. Die inspirieren mich.» Und wenn Kollegen nach ihren Fingersätzen, nach ihren Bogenstrichen fragen, entgegnet sie: «Das ist doch nicht Violinsport!» Im Gespräch am Flughafen sagt sie: «Ich habe keinen Beruf, ich spiele Geige.»
Kehrseite der Medaille
Kein Beruf, kein Sport, aber ein Kampf um gute Verträge? Um Publikum? Frang nennt es die Kehrseite der Medaille. Sie weiss um den Druck, sagt aber in leisen, schnellen Worten: «Klassische Musik lebt nicht von CD-Covern. Viele Leute, die sagen, die Klassik sei am Sterben, glauben viel zu stark ans Marketing. Die Klassik an sich ist stark genug. Was wirklich gut ist, wird überleben.» An den Künstlern sei es, dies zu beweisen. Für jemanden, der am Anfang der Karriere steht, kein leichtes Spiel. Angesichts der Booklets ihrer beiden CDs verzieht sie das Gesicht. «Ich identifiziere mich nicht mit diesen Bildern, ich lasse sie zu. Mit Musikmachen hat das aber nichts zu tun.»
Am Samstag, 6. August, spielt Vilde Frang am Menuhin Festival in Gstaad eine Matinée mit Sonaten von Bartok und Richard Strauss sowie der «Iberia»-Suite von Albéniz. In Gstaad werden junge Geiger besonders kritisch beäugt. Frang ist gespannt darauf, sagt aber ehrlich: «Ich denke nie an die Umstände eines Konzertes, wo auch immer es ist. Ich kann nicht anders, als zu 100 Prozent mich selbst auszudrücken.»
[CD]
Vilde Frang
Violin Sonatas
Bartok, Grieg, R. Strauss (EMI 2011).
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