Dem Schicksal ergeben, das Alter in Würde bewältigen – aber mit Schalk im Nacken und mit Sturheit. So begegnen dem Kinogänger die vier porträtierten alten Menschen im Dokumentarfilm von Frank Matter. Alle sind auf Leistungen der Spitex angewiesen. Alle leben allein in ihren eigenen vier Wänden. Körperliche Beschwerden machen ihnen zu schaffen und die schmerzvolle Erkenntnis, dass die lang bewahrte Selbstbestimmung schwindet. Bis in zwei Fällen das Heim unvermeidlich ist.
Anny Fröhlich sagt: «Es geht mir gut.» Allerdings: Die Sache mit dem Wasser in den Beinen ist gravierend. Im Heim, wo sie nach einem Spitalaufenthalt zuerst ein sogenanntes «Ferienbett» bezieht, fühlt sie sich gar nicht wohl. Sie habe das Gefühl, es werde über sie verfügt – «Ich bin nicht mehr ich selber. Wo bin ich?» Als aus dem Provisorium Endgültiges wird, darf die 95-Jährige einige eigene Möbel mitbringen. «So schön habe ich es mir nicht vorgestellt.»
Ein letzter Wunsch
Monique Hofmann hat MS. Sie bewegt sich draussen mit ihrem 4-Rad-Elektromobil. Viel kann sie nicht mehr tun. Früher war sie kreativ, bemalte Krippenfiguren oder nähte Teddybären. Jetzt hat sie noch einen grossen Wunsch: Ihren Lieblingsschlagersänger Rudy Giovannini aus dem Südtirol im Konzert zu erleben. Als er in der Nähe auftritt, geht der Wunsch in Erfüllung – Abschiedsküsschen inklusive.
Silvan Jeker sagt: «Ich fühle mich wohl im Chaos.» Zwar sollte er den Tisch endlich mal räumen. Und zum Coiffeur gehen. Er denkt: «Wenn man sich fürs Altersheim entscheidet, ist man auf dem Abstellgleis.» Jeker hat Angst, dass man im Heim «langweiligen Menschen ausgeliefert ist». Doch er darf in seiner Wohnung bleiben. «Ich will schon noch leben und immer gut essen. Ich bin kein unglücklicher oder einsamer Mensch. Ich spüre immer noch Kampfeslust in mir.» Im Spitex-Rapport wird ihm «Antriebslosigkeit» attestiert.
Elisabeth Willen, die das Spitex-Essen schon mal direkt aus der Pfanne isst, räsoniert: «Wenn ich daran denke, dass ich das Haus verkaufen muss, bringt es mich fast um.» Sie werde mit der Zeit allerdings «schon etwas gleichgültiger, etwas legerer». So macht sie das Bett nicht mehr jeden Tag («dann halt morgen, ist ja niemandem im Weg»). Im Filmfeiert sie ihren 95. Geburtstag. Dann muss sie ihr Haus verlassen und ins Heim. Sie weiss nicht recht, wie mit ihr geschieht: «Irgendetwas ist da nicht in Ordnung.»
Mensch im Mittelpunkt
Diese vier Porträts wirken bei aller Intimität der Szenen nie peinlich. Sie gewähren individuelle Einblicke in das Leben alter Menschen. Die gesellschaftliche Dimension der Alterspflege daheim spricht einmal Spitex-Mitarbeiter Marino Klingenberg an, den der Film in Allschwil und Schönenbuch BL bei der Einsatzdispo und bei Hausbesuchen begleitet: Die Krankenkasse will Stunden kürzen. Das Pflegeheim wäre billiger. «Der Mensch stand früher im Mittelpunkt», sagt Klingenberg. Heute dagegen gilt: «Immer mehr Einsätze und immer weniger Zeit. Es wird vermehrt gerechnet – eine fatale Entwicklung.»
Von heute auf morgen
Regie: Frank Matter
Ab Do, 3.10., im Kino
Urs Hangartner