«Refaire le monde»: Um nichts weniger als neue Welten geht es in der aktuellen Ausstellung des Zürcher Helmhauses. Gleich beim Eingang lockt ein Bullauge, das Einblicke in ozeanische Tiefen gewährt. «Ich möchte das Publikum für die dreidimensionale Lebenswelt des Atlantiks sensibilisieren», erklärt Ursula Biemann ihre Arbeit. Auf den Lofoten liess sie eine Meeresbiologin und Performerin mittels Unterwassermikrofonen submarine Klänge sammeln und zu einer Tonspur mischen. Diese montierte Biemann mit Filmsequenzen und Texten zum Video-Essay «Acoustic Ocean».
«Die Beziehung zur Erde verändern»
Die Künstlerin erzählt mit Leidenschaft und sagt dann: «Wir müssen unsere Beziehung zur Erde verändern.» Ein klares Statement, das ihr aber noch zu eindimensional klingt. «Ich bin eine theoriegetriebene Künstlerin», betont Ursula Biemann und gibt gleich ein Muster, wenn sie ihre Meeres-Installation als «posthumane feministische Figuration» sieht. Der 63-jährigen Zürcherin geht es um das Zusammenbringen von politischen Theorien, ethischen Werten und Kunst. «Wir Künstlerinnen sind heute gefragt, mediale Lücken zu füllen und unaufgeregt Situationen zu reflektieren», postuliert sie.
Um ihrem breiten Interesse gerecht zu werden, zog Biemann in den 80er-Jahren nach Übersee. Fasziniert von der ethnografischen Feldforschung, studierte sie in Boston und New York City. Mit ihrer ersten grossen Videoarbeit «Performing The Borders» gelang ihr 1999 der Durchbruch in den USA. «Das Format des Video-Essays gab es damals erst in Ansätzen», sagt Biemann. «Meine Arbeit sorgte deshalb für Aufsehen.»
2005 dokumentierte sie den Einfluss der Ölpipelines aus dem Kaspischen Meer auf die Bevölkerung. «Black Sea Files» wurde weltweit in Museen gezeigt. Ab 2009 wurde sie auch in der Schweiz wahrgenommen. Im Auftrag der Stiftung Pro Helvetia recherchierte sie über Migrationsströme und schuf das Video-Essay «Sahara Chronicle». Die Schweiz ist ihr wichtige Homebase, meistens aber ist sie international unterwegs: «Die globale Umordnung ist das Leitthema meiner Arbeiten geworden.»
Ihre neue Arbeit «Acoustic Ocean» zieht von Zürich weiter nach Seattle und an die Biennale von Taipeh. «Ich mag Biennalen, weil ich dort ein breites Publikum erreiche», sagt sie. Wichtiger als eine Botschaft sei ihr, das «kollektiv Imaginäre» anzusprechen. Für diesen Ansatz erhält Ursula Biemann nun den Prix Thun für Kunst und Ethik. Eine Auszeichnung, die sie freut, denn: «In all meinen Arbeiten trifft Kunst auf Ethik.»
Ursula Biemanns Kulturtipps
BUCH
T.J. Demos: «Decolonizing Nature. Contemporary Art and the Politics of Ecology» (2016)
«Es braucht heute viel kreatives Denken und einfallsreiche Kunst, um der globalen ökologischen Krise zu begegnen. Der Autor stellt die Projekte vor.»
CD
Siona Espiritu: «Camino al cielo» (2017)
«Diese Doppel-CD habe ich letzten Sommer von indigenen Musikern im Amazonas gekauft. Sie lässt die Erinnerung an die Reise lebendig werden.»
FILM
Spike Lee: «BlacKkKlansman» (2018)
«Der Film zeichnet ein Kapitel der Ku-Klux-Klan-Geschichte aus der Perspektive der Schwarzen und verknüpft sie mit den rassistischen Ereignissen in Charlottesville 2017.»
Preisverleihung Prix Thun
Fr, 19.10., 18.30
Konzepthalle 6 Thun BE
Ausstellungen
Refaire le monde – Proposition
Bis So, 11.11., Helmhaus Zürich
Eco-Visionairies
Bis So, 11.11., HeK Basel
Zeitspuren – The Power of Now
Bis So, 18.11.
Pasquart Kunsthaus Biel BE