So verläuft geschickte Indoktrination. «Wenn man wie viele von uns die Augen zumachte, hätte man sich leicht auf einer kommunistischen Parteiversammlung wähnen können ...» Denn der Redner wollte den Anwesenden das «marxistisch-leninistische Gedankengut» näher-bringen. Aber nix Kommunismus: Die junge Cambridge-Absolventin Serena Frome («rhymes with plume») sitzt in einer Weiterbildung des britischen Inland-Geheimdiensts MI5.
Britische Tristesse
Sie kommt durch eine Affäre mit ihrem deutlich älteren Hochschullehrer zu einem Geheimdienstjob der minderen Ansprüche und muss stundenlang sinnlos Akten wälzen: «Ich verbrachte meine ersten Monate damit, Mitgliederlisten von Kreisverbänden der Kommunistischen Partei zusammenzustellen und Akten zu denjenigen anzulegen, die noch nicht erfasst waren.» Wie es sich gehört für eine ehrgeizige Geheimdienstlerin, verfasst sie auch Akten über Leute, die offenkundig niemals Staatsfeinde waren – lieber ein Eintrag zu viel als einer zu wenig.
Wer jetzt an die Fichenaffäre der Schweizer Staatsschützer im Kalten Krieg denkt, liegt genau richtig: Der englische Schriftsteller Ian McEwan entführt die Leserschaft mit seinem neuen Roman «Honig» auf eine Reise zurück in die trüben 70er Jahre. Im Vereinigten Königreich herrschte damals der gleiche antikommunistische Verfolgungswahn wie hier.
Aber vor allem herrschte Tristesse in Grossbritannien. Der Staat war nahezu bankrott, die Produktivität lag am Boden. Die Gewerkschaften der Automobilindustrie, der Eisenbahnen und der Kohlenbergwerke wollten den Mittelstand mit Streiks in die Knie zwingen. Und die rebellischen Nordiren markierten ihre Unzufriedenheit mit Bomben in London.
Die Rahmenhandlung von «Honig» spielt vor diesem Hintergrund und ist schnell erzählt. Serena Frome erhält ihren ersten wichtigen Auftrag von MI5. Sie soll den links-liberalen Schriftsteller und Hochschullehrer Thomas Haley mit einem Stipendium dazu verleiten, einen staatstragenden Roman zu verfassen – und ihn dabei begleiten.
Hier beginnt das Verwirrspiel von Ian McEwan mit seinen Lesern. Vordergründig ahnt man, was passiert: Die enthusiastische Serena verliebt sich in Haley. Dieser nimmt das dargebotene Stipendium zwar gerne an. Aber er denkt nicht daran, einen systemerhaltenden Roman zu schreiben, sondern übt sich in literarischer Kapitalismuskritik.
Geliebte und Agentin
Serena verstrickt sich natürlich zusehends in ihrer Doppelrolle als Geliebte und MI5-Überwacherin, ohne zu wissen, dass sie nicht die Strippen zieht, sondern die Marionette spielt. Und Ian McEwan führt mit Haley ein Alter Ego ein: Der Held trägt unverkennbare Züge des Autors als junger Mann. So schreibt er die gleichen Erzählungen, die McEwan in den 70ern selbst verfasst hatte. Die Auseinandersetzung zwischen Haley und Serena ist emotional und intellektuell. Sie rennt mit ihrem pragmatischen Literaturverständnis immer wieder gegen seine intellektuelle, analytische Literaturkritik an. Das klingt zwar nach einem reichlich klischierten Rollenspiel von Mann und Frau – aber bitte, wir sind in den 70ern! Wie es sich gehört für eine Liebesgeschichte in einem Spionageroman, kommt es zu einem leicht süsslichen Happy End.
«Honig» ist näher bei Ian McEwans vorletztem Roman «Am Strand» als bei seinem letzten Buch «Solar». Es gelingt ihm wiederum meisterhaft, die Atmosphäre einer vergangenen Epoche in einen plausiblen Handlungsablauf zu packen. Doch die in den 60ern spielende Liebesgeschichte in «Am Strand» ist etwas zu eindimensional geraten. In «Honig» dagegen dient die Liaison lediglich als Rahmenhandlung eines vielfältigen Verwirrspiels – in dem jede und jeder den andern übers Ohr haut.
Ian McEwan
«Honig»
462 Seiten
(Diogenes 2013).
Rolf Hürzeler
Überwachung von Kulturschaffenden
Der englische Literaturwissenschaftler James Smith durchforstete das Archiv des englischen Geheimdienstes MI5: In den Jahren 1930 bis 1960 wurden ziemlich alle überwacht, die links erschienen. Nur stalinistische Spione blieben unentdeckt.
Wer für die linke Schauspieltruppe «Theatre Workshop» tätig war, wurde registriert. Ob Autor, Regisseur, Dramaturg oder Schauspieler: «MI5 unterhielt in den 50ern ein ausgeklügeltes System aller Vorstellungen und gesellschaftlichen Aktivitäten des linken Theaters.» Dies schreibt James Smith in seinem Buch «British Writers and MI 5 Surveillance», das soeben auf Englisch erschienen ist. Dabei gingen die britischen Staatsschützer nicht besonders raffiniert vor. Sie sammelten einfach Zeitungsausschnitte und ordneten sie fein säuberlich in den geheimen Registraturen – geordnet nach Namen der Verdächtigen und Datum.
Die Liste der überwachten Schriftsteller liest sich wie ein literarisches «Who is who» der damaligen Zeit: Darunter sind George Orwell, Arthur Koestler, der Dichter Stephen Spender oder Christopher Isherwood. Allesamt Linke zwar, aber keineswegs Umstürzler. Im Gegenteil, Koestler und Spender etwa liessen sich in ihren späteren Jahren sogar vom MI5 anwerben. Literaturwissenschaftler Smith weist darauf hin, welch unheimlichen Verschleiss an personellen und finanziellen Ressourcen die Überwachung Kulturschaffender bedeutete. Während wirkliche Spione wie die Intellektuellen Kim Philby, Guy Burgess oder Anthony Blunt in jenen Jahren ungehindert ihrer Spionagetätigkeit für die UdSSR nachgehen konnten. (hü)
Buch
James Smith
«British Writers and MI5 Surveillance. 1930–1960»
206 Seiten
(Cambridge University Press 2012).