Eine Neuverfilmung, die nicht besser, sondern anders sein will: Denn «Remake» bedeutet hier nicht, dass Yoji Yamada den Film «Tokyo Monogatari» 60 Jahre später einfach mit neuen technischen Mitteln in einer veränderten Welt noch einmal gedreht hat. Regisseur Yamada wollte vielmehr mit der Neuverfilmung unter dem Titel «Tokyo Family» einen eigenständigen Film drehen.
Vieles ist mit dem Original identisch, der Erzählbogen eben-so wie die Figurenkonstellation einer Familie, in der sich die Kinder von den Eltern distanziert haben. Er verbeugt sich damit aus der zeitlichen Distanz vor seinem Meister, dem er einst sehr nah war: Vor 60 Jahren arbeitete der 1931 geborene Yamada als junger Regieassistent bei «Tokyo Monogatari» mit Yasujiro Ozu zusammen.
Vom Land in die Stadt
Das alte Elternpaar Hirayama besucht seine Kinder in Tokio. Bei Ozu geht es 1953 flink, er zeigt die Anreise gar nicht. Yamada lässt das Ehepaar dagegen von der heimatlichen Insel per Fähre und Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen in die grosse Stadt reisen. Sohn Shoji, der die beiden abholen soll, ist prompt zum falschen Bahnhof gefahren. Der Vater mag nicht warten, so leistet man sich ein Taxi. Die Mutter hat einen Orientierungsplan in ihr Notizheft gezeichnet. Der Taxifahrer vertraut aber lieber seinem GPS – ländliche trifft auf urbane Welt.
Sohn Koichi ist Arzt geworden, Tochter Shigeko führt einen Schönheitssalon, und Shoji, der «missratene» Sohn, aus dem nichts Rechtes geworden ist, hält sich mit einem Job als Bühnentechniker im Kabuki-Theater über Wasser. Alle sind höflich, aber auch ausnehmend förmlich-distanziert. Niemand will sich recht Zeit nehmen für die Eltern. Und der Platz ist eng. So schickt man die Alten für zwei Nächte ans Meer ins Hotel. Sie fragt: «Was machen wir bis zum Sonnenuntergang, bis es zu essen gibt?» Er: «Den Himmel anschauen.» Sie bleiben nur eine Nacht.
Die wesentlichste Veränderung, die Yamada in Abweichung vom Original vornimmt, ist die Figur des Sohnes Shoji. Bei Ozu ist er im Zweiten Weltkrieg gefallen. Naturkatastrophe statt Weltkrieg: Yamada holt die Aktualität in seinen Film. 60 Jahre danach hat eine Katastrophe Shoji und seine Freundin Noriko zusammengebracht. Sie haben sich 2011 bei einem Hilfseinsatz für Tsunami-Opfer kennengelernt.
Der Tod der Mutter
Einmal übernachtet die Mutter bei Shoji, wo sie dessen Freundin begegnet. Beide kommen sich näher. Vater bechert derweil zusammen mit einem Jugendfreund in einer Sake-Bar. Dann passiert es: Die Mutter bricht zusammen und muss ins Spital. Sie wird nicht überleben. «Ausgerechnet jetzt, wo wir so beschäftigt sind», sagt Tochter Shigeko.
Nach der Beerdigung will der Vater daheim im Dorf bleiben. «Ich komme hier zurecht. Ich brauche keine Hilfe von den Kindern.» Shoji kümmert sich zusammen mit Noriko noch ein paar Tage um ihn. «Wenn Sie seine Frau werden, kann ich sorgenfrei sterben», sagt er und schenkt ihr die Uhr seiner verstorbenen Frau. Die Begegnung der Generationen, von Jung und Alt, von Gestern und Heute – sie ist möglich.
Tokyo Family
Regie: Yoji Yamada
Ab Do, 6.3., im Kino