Vampire als biedere Bildungsbürger
Jim Jarmusch versucht in «Only Lovers Left Alive», dem ausgeleierten Genre des Vampirfilms Neues abzugewinnen. Das ist nicht cool.
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Kulturtipp 26/2013
Denise Bucher
Sie lieben einander seit Jahrhunderten, Adam und Eve, das Vampirehepaar in Jim Jarmuschs neuem Film. Aus unerfindlichem Grund leben sie getrennt: Adam (Tom Hiddleston), ein begnadeter Musiker und 123 Minuten lang schlecht gelaunt, haust in einer verfallenen Villa in Detroit. Eve (Tilda Swinton) lebt in Tanger, der ehemaligen Hauptstadt der Aussteiger, umgeben von Büchern, erfüllt von der Sehnsucht nach Adam. Als er andeutet, seinem Leben ein Ende setzen zu wollen, besteigt sie ein F...
Sie lieben einander seit Jahrhunderten, Adam und Eve, das Vampirehepaar in Jim Jarmuschs neuem Film. Aus unerfindlichem Grund leben sie getrennt: Adam (Tom Hiddleston), ein begnadeter Musiker und 123 Minuten lang schlecht gelaunt, haust in einer verfallenen Villa in Detroit. Eve (Tilda Swinton) lebt in Tanger, der ehemaligen Hauptstadt der Aussteiger, umgeben von Büchern, erfüllt von der Sehnsucht nach Adam. Als er andeutet, seinem Leben ein Ende setzen zu wollen, besteigt sie ein Flugzeug, um ihn von seinen morbiden Sehnsüchten abzulenken. Viel mehr passiert nicht. Abgesehen vom Besuch von Eves Schwester Ava (Mia Wasikowska), verantwortlich für die besten Szenen im Film.
Mit Erklärungsbedarf
Leere ist für einen Jarmusch-Film wenig überraschend. Minimale Handlung und Langsamkeit machten den Reiz seiner früheren Werke wie «Stranger Than Paradise» (1984) oder «Down by Law» (1987) aus. Diese Filme waren lakonisch, schmucklos, der Inbegriff von cool und machten Jarmusch zur Kultfigur des US-amerikanischen Independentkinos.
«Only Lovers Left Alive» ist nicht cool. Jarmusch inszeniert die beiden Vampire als Intellektuelle, als Schöpfer unseres gesamten kulturellen Erbes, darum besteht ständig Erklärungsbedarf. Und diesen stillt er mit erklärenden Dialogen, dem ärgsten aller Stilmittel. Zum Beispiel zwischen Eve und ihrem besten Freund Christopher Marlowe (John Hurt), dem Konkurrenten Shakespeares: Er besteht darauf, dass «Hamlet» aus seiner Feder stamme. Oder sie erklärt ihm, dass die Musikgenies von Mozart bis Jim Morrison ihre wichtigsten Werke eigentlich Adam zu verdanken hätten.
Ästhetischer Reiz
Immerhin: Die Langeweile hat einen ästhetischen Reiz. Zum Beispiel, wenn Adam und Eve im Halbdunkel zwischen Samt und Brokat liegen, zwischen Stapeln von Tonbändern und Fender-Gitarren, drapiert für die Kamera, die über ihnen kreist. Dann drehen sie sich wie auf einem Plattenspieler, der Adams Musik spielt. Schön ist auch, dass sich das Paar in einer Art Zeitlupe bewegt, als ob das Gewicht der ganzen westlichen Kultur auf ihnen lasten würde.
Jarmusch verzichtet auf ziemlich alles, was man üblicherweise in einem Vampirfilm serviert bekommt. Er macht die Sterblichen zur Bedrohung für die Vampire. Wir sind die Zombies, die ihre einst so schöne Welt zerstören und das kulturelle Erbe gleich mit. Darum würden diese elitären Hüter der Kultur solche Kreaturen niemals in den Hals beissen, zu unkultiviert, zu gefährlich. Sie holen sich ihr Blut lieber im Spital, trinken es aus Kristallgläsern oder lutschen es als Eis am Stiel. Noch Anrüchigeres gibt es nicht. Jarmusch macht aus seinen Vampiren biedere Bildungsbürger und trägt das ehemals lüstern-blutrünstige Genre zu Grabe.