Ungewöhnliche (Kriegs-)Bilder
Militärische Camouflage und Surrealismus sind näher beisammen, als man meinen könnte. Dies hat die US-amerikanische Fotografin und Frontreporterin Lee Miller im Zweiten Weltkrieg bildlich umgesetzt.
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Kulturtipp 03/2014
Rolf Hürzeler
Die Fotografie zeugt von Lebenslust – auf den ersten Blick. Tatsächlich steckt aber blutiger Ernst dahinter. Der Titel der Aufnahme lautet «Schicke Mode für schmale Geldbeutel». Sie stammt aus dem Kriegsjahr 1940, als fast täglich Bomben auf London fielen. Die US-amerikanische Fotografin Lee Miller hat das Bild damals mit anderen Aufnahmen in der britischen «Vogue» veröffentlicht. Der Verlag Scheidegger & Spiess erinnert nun mit einer deut...
Die Fotografie zeugt von Lebenslust – auf den ersten Blick. Tatsächlich steckt aber blutiger Ernst dahinter. Der Titel der Aufnahme lautet «Schicke Mode für schmale Geldbeutel». Sie stammt aus dem Kriegsjahr 1940, als fast täglich Bomben auf London fielen. Die US-amerikanische Fotografin Lee Miller hat das Bild damals mit anderen Aufnahmen in der britischen «Vogue» veröffentlicht. Der Verlag Scheidegger & Spiess erinnert nun mit einer deutschen Fassung des Bildbandes «Fotografin, Muse, Model» an Lee Miller (1907–1977), eine ungewöhnlich eigenwillige Frau der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Sie stammte aus einer wohlhabenden Familie im Staat New York – und erlebte eine Kindheit mit sexuellem Missbrauch. So fotografierte ihr Vater «sie fast obsessiv nackt», wie die Buchautorin Becky E. Conekin in dieser Biografie Millers festhält. Paradoxerweise wurde Miller ausgerechnet ein Modemodell, als hätte sie die Selbstdarstellung vor der Linse verinnerlicht.
Aber Lee Miller war alles andere als ein Modepüppchen, denn sie kümmerte sich nicht um die gesellschaftlichen Zwänge ihrer Zeit. Sie erkannte schnell ihre eigenen Fähigkeiten als Fotografin, und sie entdeckte den Wert der Kunst, vor allem des Surrealismus. Sie ging mit dem Avantgardisten Man Ray eine Liebschaft ein und erlernte dessen Arbeitstechniken im Studio sowie in der Dunkelkammer – die beiden experimentierten in den 1920ern mit neuen Formen der Belichtung. Was sie damals gelernt hatte, setzte sie in einem anderen Umfeld um: Sie erkannte den Zweiten Weltkrieg als ihre Chance, sich als Kriegsreporterin zu behaupten.
Miller betrieb das, was man heute «embedded Journalism» nennt, eine Frontberichterstattung im Truppenverband. Sie begleitete die US-amerikanische Armee für die britische Ausgabe der Zeitschrift «Vogue» bei der Befreiung Frankreichs. Dabei musste sich die Reporterin an zwei Fronten behaupten: Lee Miller hatte gegen die Vorurteile des Militärs gegenüber einer Frau in ihren Reihen zu kämpfen – und sie musste den Mut aufbringen, von der Front zu berichten.
Becky E. Conekin
«Lee Miller – Fotografin, Muse, Model»
223 Seiten
(Scheidegger & Spiess 2013)