Pro
Schon heute werden 73 von 100 gehörten Radiominuten über einen digitalen Kanal genutzt, über DAB+ oder dann via IP am Computer, am Mobiltelefon oder auf dem Tablet. Die Radiolandschaft ist also schon längst digital, und sie wird künftig noch «digitaler» werden. Nur noch 12 Prozent der Radiohörerinnen und -hörer konsumieren die Programme ausschliesslich über UKW, und dieser Anteil wird jedes Jahr kleiner. Der Technologiewechsel – weg von UKW hin zu DAB+ – ist damit längst Tatsache. Die Hörer haben entschieden. Die Abschaltung von UKW wurde lange diskutiert und besprochen. Am Schluss hat sich die Branche geeinigt und eine Vereinbarung unterzeichnet. Längerfristig kann sich kein Radio leisten, die Verbreitung des Programms sowohl via UKW als auch via DAB+ zu finanzieren.
Deshalb hat sich die Radiobranche schon 2014 dazu entschlossen, die Verbreitung ihrer Programme via UKW spätestens am 31. Dezember 2024 einzustellen. Zu diesem Zeitpunkt erlöschen auch die Funkkonzessionen. 42 von 44 Radioveranstaltern und die SRG haben sich nach jahrelanger Arbeit gemeinsam zu diesem Schritt entschlossen.
Im Moment findet – initiiert durch Roger Schawinski – ein heftiger Technologiestreit statt. Es wird über Vor- und Nachteile von UKW und DAB+ debattiert, über die Versorgung in den Tunnels und im Auto sowie die Tonqualität. Diese Diskussionen sind längst geführt. Wenn man diese Fragen jetzt wieder aufbringt, gleicht das einem rückwärtsgewandten und unnötigen Spiegelgefecht. Klar ist: Die Digitalisierung schreitet in horrendem Tempo voran, auch beim Radio. DAB+ ermöglicht bei vergleichsweise geringen Kosten und weniger Energieverbrauch grössere Programmvielfalt in grösseren Sendegebieten. Das ist gerade für die privaten und nicht kommerziellen Radios überlebenswichtig. Radio wird noch stärker als heute über verschiedene Kanäle genutzt: über DAB+ und übers Internet. Beide sind digital, und beide Technologien haben ihre Vor- und Nachteile, sie ergänzen sich optimal.
Selbstverständlich bedeutet die Abschaltung von UKW für die Konsumentinnen und Konsumenten einen Wechsel. Wie bei jedem Technologiewandel braucht es neue Geräte, und die alten müssen fachgerecht entsorgt werden. Die Schweiz ist dafür bestens gerüstet, und dieser Austausch ist schon seit Jahren im Gang: In der Schweiz sind bereits knapp sechs Millionen DAB+-Empfänger auf dem Markt. Zudem bleibt genug Zeit, damit jene Hörer, die noch nicht umgerüstet haben, ein neues Radio kaufen können. Die Behauptung, zehn Millionen Geräte müssten ersetzt werden, ist nicht belegt. Zudem hört das Publikum ja keine Technologie, sondern ein Programm. Radiohören ist auch ein Ritual, und so wird das Publikum seine Sendungen und seine Programme dort abholen, wo sie vorhanden sind. Der Mix wird digital sein, und DAB+ ist ein einfacher digitaler Empfangskanal, der auf Knopfdruck und ohne Abo praktisch überall verfügbar ist.
Umrüstbedarf ergibt sich vor allem bei den Autos. Obwohl alle Neuwagen seit 2019 standardmässig über eine DAB-Empfangsmöglichkeit verfügen müssen, gibt es ältere Autos, die nur einen UKW-Empfänger haben. Die blosse technische Ausstattung der Fahrzeuge gibt jedoch keinen Aufschluss über die tatsächliche Nutzung: Die Autos, die am meisten unterwegs sind, verfügen über digitale Empfangsmöglichkeiten. Auch hier gibt es Nachrüstlösungen – die günstigsten sind schon für 100 Franken zu haben.
Iso Rechsteiner: Kommunikationsberater, ehem. DRS-Radiodirektor, Koordinator der Arbeitsgruppe «Digitale Migration»
Contra
Die geplante Abschaltung von UKW leuchtet mir nicht ein. Keine Sorge, ich bin kein Nostalgiker, technologischen Entwicklungen stehe ich positiv gegenüber. Und ich bin ein grosser Radio-Freund. Ich verehre dieses Medium, das wie kein anderes die Fähigkeit hat, die Menschen mit Musik, Information und Unterhaltung im Alltag zu begleiten. Ich liebe die Vielfalt der Radiosender, in denen sich die Mentalität einer Region oder eines Landes widerspiegeln. Ich schätze speziell die Menschen hinter den Mikrofonen, die mal mit Witz, mal ernsthaft und immer souverän den Takt vorgeben.
Jeden Tag stehe ich mit den Radio-Nachrichten auf und gehe mit Radio-Musik ins Bett. Das Radio läuft fast rund um die Uhr – zu Hause via Internet, im Auto via UKW. Das ist Zufall, ich bin nicht gegen DAB+. Technologieverbote liegen mir fern. Ich bin für eine offene Wirtschaft, die den Konsumenten etwas zutraut. Sie sollen entscheiden, welchen Radiosender sie mit welcher Technologie hören wollen.
Deshalb sträubt sich in mir alles gegen die geplante Abschaltung der Schweizer UKW-Sender. Warum soll eine Technologie, die immer noch über einen stattlichen Marktanteil von 27 Prozent verfügt, einfach aufgegeben werden? Und was machen die 12 Prozent Hörerinnen und Hörer, die ausschliesslich UKW-Empfänger nutzen? Millionen von funktionierenden Radio-Apparaten würden auf einen Schlag zu nutzlosem und umweltschädlichem Schrott. Hunderttausende von Einwohnerinnen und Einwohnern würden gezwungen, umgehend teure DAB+-Geräte zu kaufen.
Gefährdet wird auch die Sicherheit auf unseren Strassen. 58 Prozent der Autos in der Schweiz haben aktuell keinen DAB+-Empfänger, bei den ausländischen Automobilisten sind es mehr als 80 Prozent. Sie würden in Tunnels keine Schweizer Sender empfangen. Das ist ein gewaltiges Problem, vor allem weil sich die Schweiz aus Sicherheitsgründen international zu einer lückenlosen Radio-Versorgung in Tunnels verpflichtet hat.
Auf die Abschaltung haben sich die Branche und der Bund vor fünf Jahren geeinigt. Man nahm damals an, dass sich DAB+ durchsetzen würde, und förderte die Technologie mit finanziellen Mitteln vom Bund. Doch es kam anders. DAB+ hat sich weniger stark etabliert als angenommen. Trotz Millionenschwerer Technologieförderung liegt der Marktanteil von DAB+ lediglich bei 41 Prozent. Deshalb fordert sogar Alt-Bundesrätin Doris Leuthard, die beim Abschaltentscheid 2016 als Medienministerin am Tisch sass, einen «Marschhalt».
International hat der Wind gedreht. Bisher hat nur Norwegen die UKW-Sender ausser Betrieb genommen. Die Schweiz wäre der zweite Exot und würde zur UKW-losen Insel mitten in Europa. Finnland, Schweden, Lettland, Grossbritannien, Irland, Österreich, Frankreich, Portugal, Spanien und erst kürzlich Tschechien haben sich für den Erhalt von UKW ausgesprochen. Woran kann es liegen, dass diese Länder (und vermutlich weitere) das Abschalten herauszögern oder darauf verzichten? Es deutet einiges darauf hin, dass DAB+ seinen Höhepunkt überschritten hat, bevor es definitiv eingeführt wurde. Das Radio-Streaming via Internet (IP) hat sich rasch etabliert und verfügt bereits über einen ähnlich hohen Marktanteil wie DAB+.
Für mich ist klar: Bund und Radio-Branche sitzen auf dem falschen Ross. Es ist ein Ross, das lahmt. Deshalb ist es Zeit abzusteigen. Die Abschaltung von UKW wäre eine fatale Fehlentscheidung, eine massive und völlig unverständliche Beschädigung des Mediums Radio.
Philipp Kutter: Nationalrat Die Mitte, Mitglied der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen
Petition
https://act.campax.org/petitions/rettet-ukw