Jetzt, wo Nationen ihre Torschützen als Helden feiern, berührt dieses Buch doppelt. Der Autor Christos Tsiolkas berichtet aus der Welt des Leistungssports. Er erzählt die Geschichte eines jungen Sportlers, der auf dem Weg nach oben ins Straucheln gerät – und zerbricht. Brillant, einfühlsam und erschreckend ehrlich.
Unter Druck
Der Protagonist Danny Kelly erhält als grosses Schwimmtalent ein Stipendium am angesehenen Cunts College in Melbourne. Dort gehen die Reichen Australiens zur Schule, dort unterrichtet einer der besten Schwimmlehrer des Landes: Frank Torma, ein ungehobelter, lauter Mann, bei dem «selbst Rektor Canning weghörte, wenn er seine Flüche und Beleidigungen vom Stapel liess». Doch der Trainer mit ungarischen Wurzeln weiss, worauf es ankommt …
Der erste Rat, den Torma Danny gibt, betrifft «nicht etwa das Schwimmen, nicht seinen Armzug, nicht seine Atemtechnik». Denn der Lehrer beobachtet, wie die reichen Jungs seinen besten Zögling und Sohn armer griechischer Immigranten, mit fiesen kleinen Tricks zur Schnecke machen. Er nimmt ihn zur Seite und sagt: «Du musst dich wehren, wenn dich jemand beleidigt … Eine Beleidigung ist ein Angriff. Du musst zurückschlagen. Klar?»
Keine leichte Aufgabe für Danny. Er vermag sich zwar für die Olympischen Spiele 2000 in Sydney zu qualifizieren, aber er bleibt im Umfeld seiner versnobten Schulkameraden ein Aussenseiter. Sie lassen ihn seine Herkunft immer wieder spüren, betrachten ihn als «Kanaken, als Psycho». Sein Spitzname Barrakuda ist mehr Beleidigung denn Ehrerbietung. Danny hält dem Druck seines Umfelds nicht stand, zu viele Erniedrigungen muss er erdulden, zu stark nagen die Selbstzweifel an ihm. Er wird die Sportwelt als Loser verlassen.
Bissig, wütend und hart
Der Leser begleitet den Protagonisten durch 16 Lebensjahre – von seiner Zeit als sportbesessener Junge bis zum erwachsenen homosexuellen Mann. Tsiolkas führt durch Dannys Adoleszenz, gibt einen Einblick in die unerbittliche Welt des Spitzensports und hält nicht zurück mit Kritik an der australischen Gesellschaft. «Ihr haltet euch für egalitär, dabei habt ihr ein Statusstreben, wie ich es sonst noch nirgends erlebt habe. Ihr bezeichnet euch als locker und entspannt, dabei seid ihr die ganze Zeit sauer und launisch», moniert Dannys britischer Freund Clyde im Roman.
Der aus Melbourne stammende Tsiolkas scheut sich nicht, Tabus auf den Tisch zu bringen: Klassendenken, Rassismus, Homosexualität sind Themen, die der 49-jährige Autor immer wieder aufgreift, mit Worten, die oft bissig, wütend, zuweilen hart und derb sind. «Er spricht leise und schreibt laut», so ein Kritiker.
Tsiolkas polterte bereits in seinem vierten Roman «Nur eine Ohrfeige» gegen die Mittelklasse. Darin erzählt er die folgenreiche Geschichte einer Klatsche, die ein kleiner nerviger Junge an einem Grillfest von einem Gast eingefangen hat. Das Werk wurde mehrfach ausgezeichnet und als Serie «The Slap» verfilmt. «Barrakuda» ist sprachlich nicht so derb wie der Vorgängerroman – aber immer kraftvoll und emotionsgeladen.
Christos Tsiolkas
«Barrakuda»
471 Seiten
(Klett-Cotta 2014).