Inspirierten ihn bei diesem flächigen Bild die römischen Hauswände? Oder dachte er an eine antike Spurenlese? Möglich ist beides, denn der US-amerikanische Künstler Cy Twombly lebte ab 1957 in Rom, und die Wurzeln der abendländischen Kultur beschäftigten ihn zeitlebens leidenschaftlich. Eine schlüssige Antwort wird sich nie ergeben, denn der Künstler sagte nichts über seine Arbeit und bezeichnete sich bescheiden als «Landschaftsmaler». Deshalb wird jeder Betrachter seine eigene Interpretation in dieses Werk aus dem Jahr 1961 hineinlesen. Typischerweise ist es «Untitled».
Das Basler Museum für Gegenwartskunst würdigt Twombly (1928–2011) nun in einer neuen Ausstellung mit Gemälden und Skulpturen. Die Schau konzentriert sich auf seine frühe Zeit in den 50er- und 60er-Jahren.
Twombly gehörte zu jener Gattung Künstler, deren Werke zwar seit Jahren weitherum bekannt sind, das Zürcher Kunsthaus ehrte ihn 1987 mit einer der ersten grossen Retrospektiven. Aber über die Person Twombly weiss man wenig, denn er mied die Öffentlichkeit. Nicht gerade so sehr wie der Schriftsteller J.D. Salinger, der sich hermetisch von der Aussenwelt abschirmte. Aber Interviews oder Stellungnahmen zu politischen Fragen gibt es von Twombly kaum.
Unspektakuläres Leben
Nur eine bizarre Episode aus seinem Leben ist angeblich verbürgt: Im Herbst 1953 hatte er in einer New Yorker Galerie eine gemeinsame Ausstellung mit Robert Rauschenberg, mit dem er auch das Atelier teilte. Eines Morgens hing anstelle eines der Bilder von Rauschenberg ein neues Werk von Twombly; er hatte das Gemälde seines Kollegen während der Nacht kurzerhand überpinselt. Den Galeristen traf der Schlag – denn das Bild Rauschenbergs hatte schon einen Käufer gefunden. Rauschenberg selbst scheint die Sache dagegen mit Fassung getragen zu haben. Er unternahm weiterhin Reisen mit Twombly.
Sonst verlief sein Leben zumindest äusserlich stinknormal. Wer meint, hinter dem seltsamen Vornamen «Cy» verstecke sich ein Geheimnis, täuscht sich: Cy ist die Kurzform von Cyclone und stammt von seinem Vater, einem begnadeten Baseballspieler, der so schnell wie ein Zyklon war. Er übertrug seinen Spitznamen auf den Sohn.
Twombly kam also aus einer Mittelstandsfamilie, brachte es im Sport zu nichts, dafür besuchte er das legendäre Black Mountain College in North Carolina, jene Ausbildungsstätte, an der sich europäische und US-amerikanische Avantgardisten begegneten – vom Architekten Walter Gropius über den Musiker John Cage bis zum Künstler Willem de Kooning. Twombly besuchte in den 50ern mit Rauschenberg erstmals Europa, reiste nach Griechenland und Nordafrika; nach der Heirat mit der Italienerin Tatiana Franchetti liess er sich in Rom nieder, zog sich später nach Gaeta zurück, ein idyllischer Küstenort unweit der Metropole, ein abgeschiedenes Domizil.
Von rechts nach links
Twomblys kryptische Kunst faszinierte Fachleute und Intellektuelle wie den französischen Philosophen Roland Barthes. Denn sie bedeutet für den Betrachter eine gedankliche Herausforderung, um einen plausiblen Zugang zu Twomblys gestalterischer Freiheit zu finden. Da sind Zahlenreihen und Buchstabenfolgen zu entdecken, oder winzige Symbole verstecken sich neben kühnen Strichen: «Ein Labyrinth aus Spuren, Überlagerungen und halbverschwundenen Botschaften», schrieb die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Symbolisten wie die Schriftsteller T.S. Eliot und Ezra Pound bestimmten sein Denken. Um sich den Gestaltungsprozess selbst nicht zu einfach zu machen, wechselte der Rechtshänder Twombly bei der Pinselführung immer wieder zur Linken; so stellt sich die Verfremdung leichter ein. Er war im Gegensatz zu vielen seiner Berufskollegen kein besessener Vielschaffer, konnte gut monatelang gar nichts tun. Zumal er unter keiner materiellen Not litt, seine Werke erzielten und erzielen Millionenerlöse.
Sehleistung abverlangt
Weniger bekannt sind Twomblys Skulpturen, die in Basel auch zu sehen sind. Der Künstler arbeitete am liebsten mit Fundobjekten – Holzstücken, Nägeln oder Eisenringen. Mit diesen Materialien schuf er in Gaeta diese halbrunde Skulptur – Leim und Gips sorgen für den Zusammenhalt. Die Plastik mit fast einem Meter Höhe wirkt auf den ersten Blick unspektakulär; erst bei genauerem Hinsehen verliert sich der Blick in der feinen Oberflächenstruktur. Ganz ähnlich bei einem zweiten Objekt mit dem Titel «Thicket of Ur», eine Anspielung auf eine berühmte Ausgrabung in Mesopotamien und ein abgeändertes Bibelzitat. In diesem Fall arbeitete Twombly mit Bambus, Holz und Draht sowie mit Bleistift gekritzelten Buchstaben.
Solche Werke verlangen vom Besucher eine Sehleistung. Es wird sich lohnen, lange Zeit im Parterre des Basler Museum für Gegenwartskunst zu verweilen, um sich der Gedankenwelt Cy Twomblys anzunähern. Ganz verstehen wird man sie nicht.
Cy Twombly
Sa, 12.9.–So, 13.3. Museum für Gegenwartskunst Basel