TV-Spielfilm: Krieg und Gewissen
Das Erste hat den 1951 entstandenen Roman «Der Überläufer» von Siegfried Lenz als aufwendigen Fernseh-Zweiteiler produziert. Entstanden ist ein Film, der grosse moralische Fragen stellt.
Inhalt
Kulturtipp 08/2020
Urs Hangartner
«Der Überläufer» wäre 1951 der zweite Roman des damals 25-jährigen Autors Siegfried Lenz (1926–2014) gewesen. Aber Lenz fand sich nicht mit den «Verbesserungsvorschlägen» des Verlagslektors ab und verzichtete auf die Publikation einer angepassten Fassung. Die Geschichte eines Wehrmacht-Deserteurs – wie Lenz selber es kurz vor Kriegsende war – erschien als nicht opportun im politischen Klima des Kalten Krieges. Erst 2...
«Der Überläufer» wäre 1951 der zweite Roman des damals 25-jährigen Autors Siegfried Lenz (1926–2014) gewesen. Aber Lenz fand sich nicht mit den «Verbesserungsvorschlägen» des Verlagslektors ab und verzichtete auf die Publikation einer angepassten Fassung. Die Geschichte eines Wehrmacht-Deserteurs – wie Lenz selber es kurz vor Kriegsende war – erschien als nicht opportun im politischen Klima des Kalten Krieges. Erst 2016, zwei Jahre nach Lenz’ Tod, ist «Der Überläufer» erschienen. Er wurde prompt zum Bestseller.
Die TV-Produktion «Der Überläufer» ist eine von zahlreichen Siegfried-Lenz-Verfilmungen. Erst im vergangenen Herbst kam die geglückte Adaption von «Deutschstunde» in die Kinos. Gelungen sind auch diese 180 Fernsehminuten.
«Wenn sie der Hafer des Wahnsinns sticht»
Die Roman-Geschichte ist von den Drehbuchautoren – Regisseur Florian Gallenberger und Bernd Lange – erweitert worden. Sie führt in einem Epilog bis ins Jahr 1956 und zeigt das weitere Schicksal der Protagonisten. Ansonsten ist viel stoffliche Treue bewahrt worden. «Krieg: das ist das grausam-lächerliche Abenteuer, in das sich Männer einlassen, wenn sie der Hafer des Wahnsinns sticht.» Der Satz aus dem Roman steht dem Film als Motto voran. Der junge Architekt Walter Proska (Jannis Niewöhner) muss im Sommer 1944 in den Krieg. Unterwegs im Zug begegnet er der geheimnisvollen Polin Wanda (Malgorzata Mikolajczak). Der Zug fährt später auf eine von Partisanen gelegte Mine. Proska überlebt und gerät zu einer Handvoll Wehrmachtsoldaten, die im Niemandsland eines sumpfigen Waldgebiets an der Ostfront in Polen auf verlorenem Posten die Stellung halten sollen. Der menschenverachtende Unteroffizier Stehauf (Rainer Bock) führt das Kommando. Proska freundet sich mit seinem Kameraden Kürschner (Sebastian Urzendowsky) an. Dieser sieht als Erster ein, wie sinnlos es ist, weiterzukämpfen. Er schlägt Proska vor, Fahnenflucht zu begehen, zum Überläufer zu werden.
Gefährliche Beziehung mit einer Partisanin
Proska verliebt sich in die Partisanin Wanda, die er wiedertrifft: eine gefährliche Beziehung, die sich manchen Herausforderungen stellen muss. Und er gerät in sowjetische Gefangenschaft. Hier trifft er auf Kürschner, der inzwischen die Uniform des Feindes trägt. Proska hat die Wahl: Mitmachen oder sterben. Wie als deutscher Soldat lädt er nun in russischen Diensten grosse Schuld auf sich. Schliesslich landen Proska und Kürschner nach Kriegsende bei der sowjetischen Kommandantur in Berlin. Sie sollen helfen, ein neues, sozialistisches Ostdeutschland aufzubauen. Es kommt dabei zu Begegnungen mit der Vergangenheit. Und wieder fordert die Situation Entscheide mit dramatischen Folgen.
Roman wie Film stellen die grossen moralischen Fragen in einem historischen Kontext, Fragen nach Schuld und Sühne, nach Gewissen und Moral. Eindringlich bringen Regie und ein starkes Ensemble diese Themen zur Darstellung.
Der Überläufer
Regie: Florian Gallenberger
Mi, 8.4./Fr, 10.4.
Jeweils 20.15 Das Erste
Online in vier Teilen, ab Mi, 1.4.: www.ardmediathek.de