Frühling, 1945: Die Anspannung steht der jungen Klara (Annina Walt) ins Gesicht geschrieben, als sie sich den KZ-Überlebenden aus Buchenwald nähert, die soeben in der Schweiz angekommen sind. Sie muss den Jugendlichen sagen, dass nur unter Zwölfjährige im Flüchtlingsheim bleiben dürfen. «Ich befolge nur meine Anweisungen», verteidigt sie sich, als erste Proteste laut werden und ihr ein junger Mann entgegnet: «Ich dachte, dass es in der Schweiz vorbei ist mit der Selektion.» Glücklicherweise dürfen schliesslich auch die Älteren bleiben – und Klara wird sich im Verlauf der neuen SRF-Serie «Frieden» zur selbstbewussten Frau mausern.
Im Zentrum der Serie nach dem Drehbuch von Petra Volpe («Die göttliche Ordnung») stehen drei junge Menschen in der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg. Klara, Johann und Egon haben grosse Träume, Hoffnungen und Ziele. Klaras frisch angetrauter Mann Johann (Max Hubacher) übernimmt die Tuchfabrik seines Schwiegervaters in einer Krise, da der Bund einen Grossauftrag gekündigt hat. Der ehrgeizige Johann will das Familienunternehmen mit neuen Ideen retten und gerät in ein Dilemma: Ist er für die Finanzierung seines ambitionierten Kunstfaserprojekts bereit, sich auf dubiose Geldgeber und Kriegsverbrecher einzulassen?
Derweil begibt sich sein aus dem Aktivdienst heimgekehrter älterer Bruder Egon (Dimitri Stapfer) für die Bundesanwaltschaft auf die Jagd nach Nazis, die in der Schweiz untergetaucht sind. Wie besessen er von diesem Auftrag ist, zeigt sich bereits in der ersten Szene: Als er auf einem Bauernhof einen deutschen Knecht verhaften soll, versucht dieser abzuhauen. Voller Wut stürzt sich Egon auf ihn und schlägt ihm so brutal ins Gesicht, dass er von seinen Kollegen weggezerrt werden muss.
Vom Urgrossvater inspiriert
«Meine Figur Egon hat ihre dunklen Seiten», sagt Schauspieler Dimitri Stapfer im Gespräch. «Er kehrt nach dem Krieg mit Schuldgefühlen zurück und will um jeden Preis Gerechtigkeit herstellen. Er hat viel Wut in sich, aber auch eine grosse Zärtlichkeit.» Zur Vorbereitung auf seine Rolle hatte Stapfer Einsicht in Akten der schweizerischen Bundesanwaltschaft der damaligen Zeit, etwa in Abhörprotokolle. Und er hat sich in der eigenen Familie umgehört. Sein Urgrossvater habe 1000 Diensttage an der Grenze geleistet, erzählt er. «Ich habe mich gefragt, was er in dieser Zeit wohl erlebt hat. Als Mann sprach man damals ja nicht über seine Gefühle.» Etwas von seinem Urgrossvater sei auch in die Interpretation seiner Figur Egon eingeflossen.
Schauspielerin Annina Walt wiederum hat sich für ihre Rolle der Klara etwa von der Biografie von Charlotte Weber inspirieren lassen, die während des Kriegs als Betreuerin in Schweizer Flüchtlingsheimen gearbeitet hat. Und sie hat sich Werbespots aus den 40ern angeschaut. «Die Unfreiheit der Frauen hat sich auch stark in der Körperhaltung widerspiegelt», sagt sie. Sobald sie beim Dreh die Kostüme angezogen habe, sei es ihr leicht gefallen, sich auch körperlich in diese Zeit zu versetzen. «Klara stammt aus wohlhabendem Haus und geht zuerst den für sie vorgesehenen Weg, macht dann aber eine grosse Entwicklung durch», beschreibt Walt ihre Figur. «Sie will etwas beitragen nach dem Krieg. Bei der Arbeit mit jüdischen Flüchtlingen wird sie mit einer unbekannten Welt konfrontiert und engagiert sich im Verlauf der Serie immer mehr.» Mit Klara verbinde sie ihr Fokus auf die Menschlichkeit und die Suche nach dem eigenen Weg, sagt die 24-Jährige. «Aber ich konnte viel freier als die wohlbehütete Klara aufwachsen und bin weniger blauäugig, da man sich heute durch zahlreiche Medien eine eigene Meinung bilden kann.»
Natürlich kommt in der aufwendig produzierten Serie nebst den Verwicklungen von Politik und Wirtschaft das Zwischenmenschliche nicht zu kurz: Liebe, Gewalt, Leidenschaft lodern hoch. Besonders spannend wird zu sehen sein, wie die Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit eingefangen wird – diese Stimmung zwischen der Euphorie, etwas Neues zu schaffen, und der Konfrontation mit der Kriegsvergangenheit.
Frieden
1–2/6: So, 8.11., 20.05 SRF 1
3–4/6: Mo, 9.11., 20.05 SRF 1
5–6/6: Mi, 11.11., 20.05 SRF 1
Multimedialer Schwerpunkt 1945: srf.ch/1945
4 Fragen an Regisseur Michael Schaerer
«Das Image der Schweiz hatte stark gelitten»
kulturtipp: Wie aufwendig ist es, eine historische Serie zu drehen?
Michael Schaerer: Wahnsinnig aufwendig, es macht aber auch viel Spass! Man kann die Welt mit Kostüm, Masken, Frisur und Requisiten so entwerfen, wie sie damals war. Es stellen sich aber grosse Herausforderungen, gerade wenn man mit unserem Schweizer Budget operiert. Nicht jede Strasse lässt sich etwa in eine Strasse von 1945 verwandeln. Es muss genug Grundstruktur da sein, damit wir sie mit verhältnismässig geringem Aufwand anpassen können. Die visuelle und gestalterische Planung muss sehr genau im Vorfeld stattfinden, man kann nicht vor Ort improvisieren.
Wie intensiv haben Sie im Vorfeld für diese Geschichte aus der Nachkriegszeit recherchiert?
Bei der Drehbuchautorin Petra Volpe ist der Stoff über viele Jahre gewachsen. Ich kam vor zwei Jahren dazu und habe mich in historische Quellen, die Bergier-Berichte und Geschichten von KZ-Überlebenden vertieft. Und ich habe mit Menschen aus dieser Generation gesprochen, um nachvollziehen zu können, was es bedeutet, Hunger zu haben und auf Lebensmittelmarken angewiesen zu sein, oder welche Gefühle die ersten Autos auslösten. Mit der Serie versuchen wir, durch die Geschichten dreier junger Menschen, die voller Enthusias-mus in diese Nachkriegszeit gehen, wirtschaftliche, ethische und moralische Fragen zu verhandeln.
Hat sich Ihr Bild der Schweiz durch die Beschäftigung mit diesem Thema verändert?
Ich habe gemerkt, dass man über die Rolle der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg in der Öffentlichkeit wenig weiss. Es war damals ein Aufbruch in eine prosperierende Friedenszeit, man stand aber auch vor vielen Herausforderungen und Fragen. In welchem Verhältnis stand die Schweiz zu den Achsenmächten, wie war sie wirtschaftlich verbandelt, welche Interessensabwägungen gab es, wie hat sie sich am neuen Europa orientiert? Das Image der Schweiz hatte stark gelitten. Über humanitäre Aktionen hat man versucht, es wieder aufzubauen.
Gewisse Fragen, die sich damals stellten, lassen an aktuelle Debatten über Flüchtlingshilfe denken.
Ja, der Stoff von Petra Volpe schafft es, den Blick aus der Vergangenheit ins Heute zu werfen. Wir begegnen heute ähnlichen moralischen und politischen Fragen. Vor den Grenzen Europas sagt man klar, welche teils minderjährigen Flüchtlinge man aufnehmen will und welche nicht – es gibt wieder diesen selektiven Blick sowie wirtschaftliche Abwägungen. Die Frage nach dem Selbstbild der humanitären Schweiz ist heute so aktuell wie damals.