In diesem Haus wimmelt es vor Kreativwirtschaft: Malerei, Architektur, Film, Grafik, Musik. Zehn Animationsfilmschaffende zwischen Ende 20 und Anfang 40 haben sich hier vor zehn Jahren im Gemeinschaftsatelier zusammengefunden. Es gibt verschiedene Gründe und Vorteile, gemeinsam in Räumen zu arbeiten. Rein ökonomisch gesehen, kann man sich Mietkosten teilen und so einen Arbeitsplatz günstig nutzen. Wer entsprechende Projekte hat, kann Arbeiten auf mehrere Köpfe verteilen oder mal einen Auftrag weitergeben.
Im Trickfilmatelier Industrie 17 haben alle den Studiengang Animation an der Hochschule Luzern, Design & Kunst, besucht. Anja Sidler, Delia Hess und Irmgard Walthert, die sich bei unserem Besuch Zeit für ein Gespräch nehmen, haben aus naheliegenden Gründen in Luzern studiert: Sie stammen von da und sind auch geblieben.
«Best Animation School Award»
Igor Kuzmic ist mit Jahrgang 1988 zwar nicht der Jüngste in der Runde, er ist aber erst seit Herbst 2020 im Atelier. Nach Jahren in der Grafik-Branche ist er dem guten Ruf der Luzerner Ausbildungsstätte gefolgt und von Deutschland in die Innerschweiz gezogen; er hat hier das Studium absolviert und letztes Jahr mit seinem Diplomkurzfilm «Helmut» abgeschlossen.
Luzern ist die einzige staatliche Hochschule in der Schweiz, die einen Studiengang in Animation anbietet. Und es ist die beste: Im vergangenen Juni hat die Jury des internationalen Animationsfilmfestivals Animafest in Zagreb die Hochschule mit dem «Best Animation School Award» ausgezeichnet.
Nach der Schule gilt es, auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. «Die Arbeitsbedingungen auf dem Markt sind eigentlich nicht schlecht», sagt Delia Hess; «auf der Ebene der Förderung aber nicht unbedingt, besonders in der Zentralschweiz könnte die öffentliche Filmförderung mehr Mittel zur Verfügung stellen». Das gilt für das Schaffen eigener visueller Geschichtenwelten, fürs freie Arbeiten, mit dem die Filmerinnen nicht selten international an Festivals und im Fernsehen präsent sind.
Von Zeichentrick bis Stop-Motion
Es gibt genug auf dem Markt zu tun, wenn man die Palette der Möglichkeiten betrachtet, wo Animationsfilme eingesetzt werden können: Werbung, Schulungsfilme, Infovideos, Musikvideos, Trailer. Delia Hess macht in Sachen Auftragsarbeiten einen Trend aus: Online-Anwendungen von Institutionen und Firmen, etwa kurze Erklärvideos. Einen Grundsatz fürs Fremdarbeiten formuliert Anja Sidler so: «Es macht schon mehr Freude, wenn man sich mit einem Auftrag identifizieren kann, statt nur einen Job zu erledigen.» Vertreten sind im Atelier alle möglichen Techniken des Animationsfilms ausser digitale 3D-Verfahren, wie man sie von Disney-Produktionen kennt: Zeichentrick, der inzwischen auch am Computer entsteht, Legetrick, Stop-Motion, wo Mini-Landschaften und Objekte gebastelt und von Aufnahme zu Aufnahme leicht bewegt werden.
Wieso eigentlich Animationsfilm? Was fasziniert sie an dieser Arbeit? Für Delia Hess bietet die Animation neben der Vorliebe fürs Zeichnen «noch mehr Ausdrucksmöglichkeiten, wenn man zur Geschichte in Zeichnungen Bewegung, Sound, Musik und Sprache kombinieren kann». Für Irmgard Walthert, die Spezialistin in Sachen Stop-Motion, ist das Geschichtenerzählen die Motivation für die Wahl ihres Mediums. Bei ihr sei die Faszination «schleichend gekommen», nach einer Inspiration im Grundkurs beim Luzerner Trickfilmpionier Jonas Raeber. Besonders schätzt sie, dass bei ihrer Technik viel Handwerk dabei ist. In ihrem Spezialgebiet hat sie etwa bei der Schweizer Grossproduktion «Ma vie de Courgette» mitgearbeitet.
Schon dreimal bei Fantoche dabei
Anja Sidler, deren Zugang zur Animation das Zeichnen war, hat sich vor sechs Jahren mit Delia Hess und Andrea Schneider aus Zürich zum Kollektiv «Papierboot» zusammengeschlossen. Dreimal hintereinander haben sie bereits Festival- und Sponsoren-Trailer für «Fantoche» kreiert oder jüngst mit digitalen Legetrick-Elementen in Kombination mit Realfilm das Musikvideo «Emmen am See» für den gleichnamigen Verein. Dieser möchte das Gelände des Militärflugplatzes im Luzerner Vorort zu einem Naherholungsgebiet mit einem See umgestalten.
Animationsfilm bedeutet aufwendiges kreatives Schaffen, es ist oft viel Teamarbeit. So geht es schneller, und man kann die Spezialkompetenzen von anderen nutzen. Wie sie es im Atelier Industrie 17 machen.
Atelier Industrie 17
www.trickfilmatelier.ch
www.papierboot.ch
Festival Fantoche
Der Schweizer Trickfilm feiert: Vor 100 Jahren erschien mit «Histoire de M. Vieux-Bois» der erste Animationsfilm, nach einer komischen Bildergeschichte des Genfers Rodolphe Töpffer. Zum Jubiläum blickt die Schweizer Trickfilmgruppe auf 100 Jahre Animationsfilm zurück, mit einem Kurzfilmprogramm, das ab Ende Oktober in Kinos oder an Festivals läuft. Nebst Wettbewerben und Retrospektiven, etwa zum ungarischen Animationsfilmschaffen, widmet sich Fantoche den Lebenswerken des Schweizers François Chalet und der Lettin Signe Baumane. Ein Teil des Fantoche-FestivalProgramms ist auch online einsehbar.
Fantoche. 19. Internationales Festival für Animationsfilm
Di, 7.9.–So, 12.9., Baden AG
www.fantoche.ch