Die Realität ist ihm schnuppe. «Fantasie und Gedankenspiele sind wichtiger, um all das auszuhalten, was uns belastet.» Das sagt der 40-jährige US-amerikanische Video- und Installationskünstler Paul Chan, der nun das Münchensteiner Schaulager in Beschlag nimmt. Seine Werke zeichnen ihn als eine der «originellsten und vielseitigsten Stimmen in der zeitgenössischen Kunst» aus, heisst es im Ausstellungstext dazu. Seine Werke waren bereits in der renommierten Londoner Serpentine Gallery zu sehen, 2009 an der Biennale in Venedig und an der Documenta vor zwei Jahren.
Selbstinszenierung
Das Schaulager verspricht eine «durchdachte und verblüffende Inszenierung, die alte und neue Werke Chans verbindet». Er wird unter anderem seine mit Beton ausgegossenen Schuhe zeigen, in denen elektrische Stecker scheinbar sinnlose Verbindungen herstellen. Offenbar ist den Ausstellungsmachern bewusst, dass Chans Kunst nicht auf den ersten Blick verständlich ist. Ein Ticket berechtigt deshalb zum dreimaligen Besuch des Schaulagers, um dem Künstler auf die Spur zu kommen.
Aber wer zum Teufel ist Paul Chan? Die Öffentlichkeit wurde in den USA auf ihn aufmerksam, als er 2002 mit der Protestgruppe «Voices of the Wilderness» mutig in den Irak fuhr, wo damals noch Saddam Hussein an der Macht war. Die Aktivisten verteilten Medikamente und Nahrungsmittel an die Bevölkerung und verstiessen damit gegen die Wirtschaftssanktionen. Ohne Folgen – Paul Chan fuhr in einem Jeep nach Jordanien und kehrte von dort in die USA zurück. Diese Episode ist heute noch im Internet auf seiner Website nationalphilistine.com nachzulesen, wo er die Zustände im Irak ausführlich dokumentiert. Unter anderem mit einer Website über Bagdad «The city you destroyed».
Paul Chan inszeniert sich selbst perfekt. So organisierte er 2006 in New Orleans nach dem Wirbelsturm Katrina für die gebeutelte Bevölkerung Aufführungen von Samuel Becketts «Warten auf Godot», seinem weltanschaulichen Vorbild. Oder Chan erzählte vor drei Jahren in einem Interview einem Fachmagazin «zur Verblüffung der Leserschaft, er habe genug von der Kunst und höre jetzt auf damit, um mehr Zeit für anderes zu haben». Offenkundig ist ihm schnell langweilig geworden, Chan ist längst zurück in der Szene.
Aufstand in den USA
Ein Streik der Transportarbeiter politisierte Chan. Er erlebte Ende der 90er-Jahre ihren Aufstand gegen das private Postunternehmen UPS und war beeindruckt vom massenhaften Zulauf: 185 000 Angestellte erreichten mit der Arbeitsverweigerung bessere Verträge. Seither ist Chan politisch links unterwegs. Er versuche, dieses Engagement von der Kunst zu trennen, sagt er, was ihm nicht so ganz zu gelingen scheint.
Chan hat auch eine sehr feinfühlige Seite. Geradezu rührend ist es, wenn er über die Liebe spricht: «Verliebt sein ist traumatisch für mich. Ich weiss nicht mehr, was tun, ich bin so nervös und kann nichts mehr unternehmen.» Genauso ergehe es ihm mit der Kunst: «Sie ist immer traumatisches Erleben.»
Paul Chan – Selected Works
Sa, 12.4.–So, 19.10.
Schaulager Münchenstein BL