Der Schweiss des Dirigenten rinnt in Strömen, die Haare kleben an seiner Stirn, der Blick ist hochkonzentriert, starr, fast irr. Der Stardirigent Daniel Daréus kennt nur eines: die totale Verausgabung für die Musik. Seine Ansprüche an sich selbst und an sein Orchester sind ins Unermessliche gestiegen. Er will die Zuhörer in ihrem tiefsten Innern erreichen, ihr Herz öffnen. Darüber vergisst er, dass seine Musiker auch Menschen sind. Nachdem Daréus einen Bratschisten seines Orchesters harsch kritisiert hat, springt dieser aus dem Fenster. «Mörder, Mörder, Mörder, Mörder!», gellt eine Frau. Der Dirigent ist ausser sich. «Das bin nicht mehr ich», sagt er. Sein eigenes Herz hat er so sehr strapaziert, dass er einen Infarkt erleidet.
Krise als Chance
Daréus sagt alle Konzerte ab und kehrt nach Jahrzehnten in das Dorf seiner Kindheit zurück, in eine stille Schneelandschaft. Dorthin, wo er als hochbegabter Junge von der rauen Dorfjugend gepiesackt wurde. Erinnerungen übermannen ihn, der frühe Tod seiner Mutter, seine Flucht aus dem Dorf … Nun will er sich hierhin zurückziehen, nachdenken und vor allem eins: «Zuhören.» Doch die Aufregung ist gross, als die Bewohner vom berühmten Dirigenten erfahren. Bald wird der Wunsch laut, dass Daniel Daréus den Kirchenchor leiten solle. Obwohl er sich anfangs sträubt, ist er bald mittendrin im Dorfgeschehen.
Der 74-jährige israelische Theater- und Opern-Regisseur David Mouchtar-Samorai, der in Bern das Theaterstück nach dem Film von Kay Pollak inszeniert, kennt die künstlerische Krise aus eigener Erfahrung: «Diese Besessenheit – bis es zum grossen Bruch kommt.» Der Regisseur war von der Thematik und der Figurenzeichnung des Stücks angetan; erst später hat er den Film gesehen. «Eine grosse Enttäuschung war für mich die banale Musik», gesteht er. «Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Daniel Daréus diese Musik mochte.» In seiner Inszenierung greift er mit dem musikalischen Leiter Ernst Bechert auf Verdi, Mozart, Mahler oder Berlioz zurück. Dabei bezieht er den Chor des Konzert Theaters Bern ein. «Musik ist der Katalysator für unsere Emotionen», sagt der Regisseur, der das Publikum ebenso berühren will, wie Musik ihn selbst aufwühlt.
Wie ein Traum
Die in einzelnen Szenen triefende Sentimentalität des Films will David Mouchtar-Samorai auf der Bühne umgehen. Ebenso verfolgt er zwar die Nebenstränge der Film-Handlung, will aber nicht alle zu einem glücklichen Ende führen. So zeigt der Regisseur den Pfarrer Stig (Jürg Wisbach) in all seinen Widersprüchen; dessen Doppelmoral treibt seine Gattin Inger (Kornelia Lüddorf) zur Verzweiflung. Und ob sie ihm seinen Verrat verzeihen kann, bleibt offen. Ungewiss bleibt auch die Beziehung zwischen dem prügelnden Conny (Tobias Krüger) und seiner Frau Gabrielle (Sophie Melbinger), die durch ihre herausragende Stimme im Chor zu neuem Selbstvertrauen gelangt. Und das Publikum darf sich überraschen lassen, ob der Stardirigent (Arne Lenk) der lebenslustigen Lena (Deleila Piasko) seine Liebe gestehen kann.
Der Regisseur schwärmt von den Freiheiten des Theaters. Das Stück will er wie einen Traum inszenieren, ein Rückblick auf Erlebnisse und Erfahrungen des sterbenden Dirigenten. Das Bühnenbild unterstützt diese irreale Ebene: Auf farbige Stoffbahnen werden surreale Landschaften projiziert, die im Takt der Musik wechseln.
Der ureigene Ton
Dem Dirigenten Daniel geht es darum, dass jeder im Chor seinen ureigenen Ton in sich selbst findet: «Den Ton, der nur in dir vibriert. Der du bist.» Dazu arbeitet er mit unkonventionellen Methoden: «Ich würde eigentlich damit anfangen wollen … dass wir uns nackt ausziehen», ist sein Vorschlag beim ersten Chortreffen. Bei den Sängerinnen und Sängern löst das einen Lachanfall aus. Und die verklemmte Mittvierzigerin Siv geht schnurstracks zum Pfarrer, um sich zu beschweren. Daréus’ Methoden zeigen aber bald Wirkung: So wird der bis anhin ausgeschlossene behinderte Tore (Sebastian Schneider) spontan in den Chor einbezogen. Und auch die anderen Mitglieder entwickeln mehr Selbstbewusstsein, um aufzubegehren gegen lange ausgehaltene Schmähungen, um endlich ihre Liebe zu gestehen oder um auszubrechen aus dem Alltag.
Mouchtar-Samorai hat wie Dirigent Daniel seine eigenen Arbeitsmethoden: Die Schauspieler lernen bei ihm keinen Text, dieser ergebe sich durch die zahlreichen, von der Souffleuse assistierten Spiel-Durchläufe, sagt er und ergänzt: «Ich will keine Einzelkämpfer und Eitelkeiten fördern, sondern das Gefühl von Verantwortlichkeit. Ich suche die einfachen und direkten Momente.»
Wie im Himmel
Premiere: Sa, 21.5., 19.30
Vidmarhalle Bern
Oscar nominierter Film als Theaterstück
Das Musikfilm-Drama «Wie im Himmel» (2004) des schwedischen Regisseurs Kay Pollak ist in Schweden einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten. Bei der Oscar-Verleihung 2005 war der Streifen mit Michael Nyqvist in der Hauptrolle als bester fremdsprachiger Film nominiert. Er wurde vom Regisseur selbst für das Theater adaptiert. Die Uraufführung fand 2007 im Theater Konstanz statt. Seither wurde das Stück auf zahlreichen Bühnen gespielt und gilt als Publikumserfolg.