«TINGUELY» Der Künstler des Unnützen
Das Filmporträt von Thomas Thümena erinnert an Leben und Werk des Schweizer Künstlers Jean Tinguely (1925–1991). Wiederbegegnung mit einem konsequent Unkonventionellen.
Inhalt
Kulturtipp 11/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Urs Hangartner
Er spricht in einer Interview-Aufnahme in die Kamera und sagt: «Je suis Jean Tinguely. Mes machines servent à rien.» Metall-Plastiken, im besten Fall in Bewegung (kinetisch), waren sein Markenzeichen. Und eben: «Unnütze Kunst». Sein «neuer Realismus» war die Versöhnung von Alltag und Kunst, verbrüderte Technik mit Poesie.
Der Formel-1-Fan
Zeitlebens verband Jean Tinguely eine Freundschaft mit dem Autorennf...
Er spricht in einer Interview-Aufnahme in die Kamera und sagt: «Je suis Jean Tinguely. Mes machines servent à rien.» Metall-Plastiken, im besten Fall in Bewegung (kinetisch), waren sein Markenzeichen. Und eben: «Unnütze Kunst». Sein «neuer Realismus» war die Versöhnung von Alltag und Kunst, verbrüderte Technik mit Poesie.
Der Formel-1-Fan
Zeitlebens verband Jean Tinguely eine Freundschaft mit dem Autorennfahrer und Mit-Freiburger Jo Siffert. In Men Lareidas Dokumentarfilm zu Siffert (2005) sieht man Tinguely am Rennpistenrand geradezu darauf «lauern», dass etwas passiert und er unter Umständen künstlerisch verwertbare Rennwagen-Reste behändigen könnte. Er war nicht nur aktiver Autofan und als solcher Besitzer mehrerer Ferraris. Auch dies: Tinguely plante seine eigenen Ausstellungstermine nach dem internationalen Formel-1-Kalender. Das ist ein schönes Anekdoten-Detail, das sich in Thomas Thümenas Dokumentation findet, nebst den vielen historischen Archiv-Bildern, die den grossen Bogen zu Tinguelys Leben und Werk bilden. Verschiedentlich sind Zeitzeugen mit aufschlussreichen Statements an der Reihe: Künstlerfreund Daniel Spoerri, Kunsthistoriker und Tinguely-Museum-Direktor Guido Magnaguagno, Angehörige oder auch die französische Schrotthändlerin.
Nicht fehlen dürfen die Pariser Zeit und die grosse Liebe Eva Aeppli, die ihn förderte und führte. 1960 ist es so weit, dass Tinguelys aufsehenerregende «Autodestruktion» im New Yorker Moma zum Kunstereignis des Jahres wird. Man wird erinnert an die explosive Kunst, inszeniert gemeinsam mit Niki de Saint Phalle. Zusammen sind sie in den 1960ern das Glamourpaar der Kunstwelt. Spät erst wird ihm in der Schweiz mit einer Einzelausstellung die offizielle Museumsehre zuteil, als ihn erstmals 1990 das Kunstmuseum Zürich ausstellt. Mit Erfolg: In sieben Wochen besuchen 170 000 Personen die Tinguely-Schau.
Der Avantgardist
Jean Tinguely ist der Avantgardist, der vom Mainstream-Kunstmarkt vereinnahmt wird. Schön die im Film erzählte Geschichte von der Verweigerung in jener Blütezeit, als es ihm zu viel wurde. Aus aller Welt – Los Angeles, Barcelona, Tokio – erreichen ihn Anfragen, ob sie nicht auch einen Brunnen haben könnten. Tinguelys «Abschreckungsstrategie»: Er schmettert die lukrativen Brunnen-Bestellungen mit der überhöhten Forderung von einer Million Franken ab.
Überliefert ist Tinguelys Bonmot «Diebe sperrt man ins Gefängnis, Künstler ins Museum». Doch er wirkt nachhaltig – auch und gerade draussen im öffentlichen Raum. Wie die von Lausanne nach Zürich gezügelte kinetische Plastik «Heureka», einst für die Expo 1964 entstanden als seine erste öffentliche Arbeit. Einen Spaziergänger, der regelmässig am Standort Zürichhorn vorbeikommt, rührt das sich sinn- und zwecklos bewegende Kunstwerk immer wieder fast zu Tränen.
Wie bei Jo Siffert, dem Sport-Freund des Künstlers, ähneln sich am Ende die Bilder: Fast eine Art «Staatsbegräbnis» im heimatlichen Freiburg, mit einem Trauerzug, dem Tausende beiwohnen. Der Film macht bewusst, wie Tinguely den Stillstand nicht kannte, ständig in Bewegung war, zeitlebens, mit seiner Kunst und als Mensch.