Geheimdienstler Jackson Lamb liebt Gummibärchen. Aber nicht alle gleichermassen. Hat er eines im Mund, das seinem Gusto nicht entspricht, spuckt er es auf den Büroboden, der bereits bunt gesprenkelt ist. Jackson Lamb ist der Chef von Slough House. Dorthin kommen alle ausrangierten Mitarbeiter des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, die nicht entlassen werden dürfen. Entweder sie wissen zu viel, oder sie haben eine schützende Hand in der Politik.
Drei Antihelden versuchen, sich zu profilieren
Da ist zum Beispiel River Cartwright, der bei einer Anti-Terrorübung die falsche Person festnimmt. Oder Catherine Standish, deren Kampf weniger den Terroristen als der Schnapsflasche gilt. Oder Roderick Ho: Der Computerfreak geistert weltfremd umher, findet mit seinen Recherchen dafür alles und jeden heraus.
Dieses Trüppchen der Antihelden steht im Mittelpunkt der neuen Krimiparodie des britischen Schriftstellers Mick Herron. Soeben ist der erste Band unter dem Titel «Slow Horses – Ein Fall für Jackson Lamb» erschienen: Rechtsextremisten entführen einen jungen Pakistani und drohen, ihn vor laufender Kamera zu köpfen. Jeder Mitarbeiter von Slough House hofft, sich mit diesem Fall zu profilieren, um wieder zu Ehren zu kommen. Dem Leser dämmert schnell, dass das nicht so gut kommt. Zumal Jackson Lambs Vorgesetzte «Lady Di», Diana Taverner mit richtigem Namen, kein Interesse an einer schnellen Lösung des Falls hat. Jackson Lamb bedankt sich auf seine Weise für ihre fehlende Unterstützung. Er pflegt in der Anwesenheit von Lady Di stilvoll Wind zu lassen – vielleicht wegen der vielen Gummibärchen.
kulturtipp: Mick Herron, stört es Sie, wenn dieses Gespräch aufgezeichnet wird?
Mick Herron: Nein, warum?
Ich verspreche Ihnen, es unserem Nachrichtendienst nicht zu schicken.
Och, da bin ich aber sehr beruhigt.
Fühlen Sie sich eigentlich sicher in England?
Was meinen Sie? Wegen des permanenten politischen Chaos?
Nein, wegen des chaotischen Inlandsgeheimdienstes MI5, den Sie beschreiben.
Ich hoffe nicht, dass die tatsächlich so himmeltraurig arbeiten, wie ich sie darstelle.
Als Autor eines solchen Buchs müssen Sie vom Leben desillusioniert sein.
Das stimmt, ich bin gegenüber mächtigen Institutionen wie dem MI5 misstrauisch. Aber ich glaube, die arbeiten in Wirklichkeit besser, als ich das vermittle. Möglicherweise arbeiten die ja so gut, dass wir gar nichts davon erfahren. Erst wenn ihnen ein gravierender Fehler passiert, hören wir davon.
Sie halten von britischen Politikern nicht allzu viel.
Ja, das ist richtig. Sie handeln allesamt nur in ihrem eigenen, kurzfristigen Interesse. Die politischen Verhältnisse in Grossbritannien sind nun seit Jahren katastrophal – besonders seit dem Brexit-Referendum.
Hat sich der Inlandsgeheimdienst MI5 einmal bei Ihnen gemeldet? Die werden ja von Ihrer Darstellung nicht sehr begeistert sein.
Nein, da habe ich bisher gar nichts gehört. Aber es wäre toll, wenn das passieren würde, ich würde die Episode gleich in meinen Roman einbauen.
Das richtige Leben ist noch spannender als Ihre Geschichten, wenn ich an den Anschlag auf Sergei und Julia Skripal denke.
Da haben Sie recht. Tatsächlich fasziniert mich dieser Fall sehr. Würde man ihn in einen Roman packen, käme der Vorwurf, das sei zu weit hergeholt. Aber ich habe keine Ahnung, was tatsächlich passiert ist. Ich kann mir höchstens vorstellen, dass es sich um einen Racheakt an einem ehemaligen Agenten handelt.
Das Motiv interessiert am meisten.
Stimmt, ich kann mir nur eine persönliche Geschichte vorstellen, auch wenn eine russische Institution dahinter zu stecken scheint.
Wie recherchieren Sie?
Überhaupt nicht. Ich kenne viele bewunderswerte Autoren, die in Archiven stöbern und mit Experten reden. Aber mich interessiert das nicht, alles muss meiner Fantasie entspringen. Darum bin ich so sicher, dass meine Geschichten keinen Realitätsbezug haben. Aber die Charaktere müssen real sein. Ich kenne diese Art Leute gut – die Versager. Sie sind am interessantesten.
Sie schreiben von ehrgeizigen Leuten, die erfolglos sind.
Exakt, die erscheinen immer exotisch und lächerlich.
Buch
Mick Herron
Slow Horses – Ein Fall für Jackson Lamb
472 Seiten
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer
(Diogenes 2018)