Der Ägypter Jachja ist Psychiater, ein ziemlich schräger Vogel: Facharzt, Alkoholiker, Kiffer, Glücksspieler und Frauenheld in einem. Nachdem er im Vollrausch einen Autounfall baute, der für seine Frau und seine Tochter tödlich endete, erschien er jahrelang nicht mehr zur Arbeit. Das allerdings weiss der Leser zu Beginn des Romans nicht. Jachja tritt hier – erstmals nach fünf Jahren – wieder zur Arbeit in der Abbassîja-Klinik für Psychiatrie an. Veranlasst hat dieser «Wiedereinstieg» die Leiterin der Anstalt. Sie hat sich für ihren Dienstkollegen stark gemacht und lässt ihn beim Eintrittsgespräch wissen: «Ich betrachte mich auch als Ihre grosse Schwester.»
Ein Experiment gerät zum Höllentrip
8 West heisst die Station, in die Jachja eingeteilt wird. Dort sind Personen untergebracht, die ein Verbrechen begangen haben und deren Schuldfähigkeit es zu überprüfen gilt. Kein schöner Ort mit seinen vergitterten Fenstern und schweren Türen. In dieser Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit trifft Jachja auf seinen alten Freund Scharîf al-Kurdi. Dieser wird beschuldigt, seine Ehefrau aus dem Fenster seines Wohnblocks gestossen zu haben. Bereits die erste Begegnung macht deutlich: Sharîf hat den Verstand verloren. «Weder bewegte sich Sharîf, noch schenkte er mir auch nur die geringste Aufmerksamkeit … Geistesabwesend starrte er auf einen imaginären Punkt an der Wand.»
Nach und nach zeigt sich, dass Sharîf an einer Persönlichkeitsspaltung leidet. Was als Versuch beginnt, diese zu enträtseln, wird schon bald zu einem Höllentrip für Jachja. Denn um dem Problem auf den Grund zu gehen, lässt er sich auf Drogenexperimente ein. Die halluzinogene Pille «Blauer Elefant» bringt ihn zwar im Fall seines Freundes weiter, verursacht ihm aber psychotische Schübe. Es gibt keinen Aus-Knopf. Jachja gerät in eine verhängnisvolle Abwärtsspirale.
Der 40-jährige Autor Ahmed Mourad veröffentlichte bislang sechs Thriller und historische Romane. Grosse internationale Beachtung erlangte er mit «Vertigo». In diesem Politthriller schildert der Schriftsteller, Filmemacher und Drehbuchautor aus Kairo die korrupten Machenschaften ägyptischer Politiker und Geschäftsmänner, die sich auf Kosten der Armen bereichern. Er schrieb ein beeindruckendes Generationenporträt, das die Sorgen und Nöte einer jungen, gebildeten Schicht von Ägyptern zeigt, die wenige Jahre später während des Arabischen Frühlings gegen den autoritären Präsidenten Mubarak und sein korruptes Regime demonstrieren.
Welt moderner Menschen in Ägypten
Mourad schöpfte bei seinem Thriller aus dem Vollen, war er doch als junger Mann der Hoffotograf von Mubarak. Er habe fünf Jahre lang wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde ein duales Leben geführt, erzählte der Autor später dem «Guardian». Mit 29 Jahren gab er seine Stelle auf, nachdem er sich mit Mubarak überworfen hatte.
«Blauer Elefant» ist kein politisches Buch. Es ist ein klassischer Psychothriller, der in eine exzessive Welt von Drogenmissbrauch, Spielsucht und sexueller Ausschweifung führt. Der Roman gibt Einblick in die Welt junger Ägypter, die weit entfernt ist von einer fundamentalistischen Haltung. Wer eine rasante Lektüre liebt, und sich einlässt auf die alkoholgeschwängerte, nikotinlastige und sexuell ausschweifende Lebensweise der Hauptfigur, wird viel schmunzeln können und ist mit diesem actionreichen Roman mehr als gut bedient.
Buch
Ahmed Mourad
Blauer Elefant
416 Seiten
Übersetzung: Christine Battermann
(Lenos 2018)