Thomas Meyer - «Ich bin ein Doppelsonderling»
Thomas Meyer ist mit seinem urkomischen Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» für den Schweizer Buchpreis nominiert.
Inhalt
Kulturtipp 21/2012
Babina Cathomen
Mit wehenden Schläfenlocken unter schwarzem Hut radelt ein Mann im dunklen Gewand vorbei. Ein alltägliches Bild mitten in Zürich Wiedikon. Ebendieses Viertel mit seiner Mischung aus jüdisch-orthodoxen Bewohnern, Studenten, Künstlern und ausländischen Familien hat sich Thomas Meyer als Schauplatz für seinen ersten Roman ausgesucht.
Die Tricks der «mame»
Im Café neben der Synagoge erzählt der...
Mit wehenden Schläfenlocken unter schwarzem Hut radelt ein Mann im dunklen Gewand vorbei. Ein alltägliches Bild mitten in Zürich Wiedikon. Ebendieses Viertel mit seiner Mischung aus jüdisch-orthodoxen Bewohnern, Studenten, Künstlern und ausländischen Familien hat sich Thomas Meyer als Schauplatz für seinen ersten Roman ausgesucht.
Die Tricks der «mame»
Im Café neben der Synagoge erzählt der 38-Jährige, der selbst
in Wiedikon lebt und als Freelance-Texter arbeitet, wie er auf das Thema gestossen ist. Meyer stammt aus liberalem, jüdischem Haus und hat mit der Religion nichts am Hut. «Es mag darum wie ein Widerspruch klingen, dass ich einen Roman über dieses Umfeld schreibe. Aber das Judentum hat mehr Ebenen als nur die Religion.» Er fühle sich oft als «Doppelsonderling»: «In der Welt der Nicht-Juden, in der ich mich meist bewege, unterscheide ich mich durch meine Herkunft. In der Welt der Juden bin ich ebenfalls ein Aussenseiter, weil ich mich nicht an die Regeln halte.» Ein Grund, warum er einmal im Jahr nach Tel Aviv reist, wo die Durchmischung grösser sei.
Mit seinem Protagonisten Motti Wolkenbruch, einem Studenten aus jüdisch-orthodoxer Familie, hat Meyer eine liebenswerte Figur gezeichnet, die eine innere Wandlung durchmacht: Anfangs steht der 25-Jährige unter der Fuchtel seiner «mame». Als diese ihn mit allerlei Tricks verkuppeln will – mit einem jüdischen «mejdl», das der korpulenten «mame» gleicht –, regt sich Widerstand in Motti. Und als er in einer Vorlesung auf Laura mit dem wunderbaren «tuches» (Hintern) trifft, ist es um ihn geschehen. Sein Weg in die Arme einer «schickse» (nicht-jüdische Frau) beginnt. Meyer beschreibt diese Wandlung urkomisch, aber dennoch mit Einfühlungsvermögen für die Nöte seines Helden.
Der eigene Ton des Romans, der gespickt ist mit jiddischen Ausdrücken, hat dafür gesorgt, dass Meyers Debütwerk für den Schweizer Buchpreis nominiert ist und bereits in zweiter Auflage gedruckt wird. Nur die Protagonisten, um die es sich dreht, haben vom Buch keine Notiz genommen: «Ich wollte es einem sehr gläubigen Bekannten meiner Mutter schenken. Schon der Titel hat ihn aber abgeschreckt, und er lehnte ab», erinnert sich Meyer.
Das jiddische Vokabular hat der Autor, dessen Urgrossmutter der Sprache noch mächtig war, in Recherchearbeit zusammengetragen. Die Geschichte ist zwar frei erfunden, setzt sich aber aus viel Anschauungsmaterial zusammen, das er in seinem Umfeld gesammelt hat. Vom viel beschworenen jüdischen Humor hält der Autor nicht viel: «Ein positives Stereotyp», sagt er. «Zumal es im orthodoxen Milieu sehr viel Humorlose gibt.»
Immer mit Humor
Mit Humor bestreitet Meyer, der übers abgebrochene Jus-Studium zum Texten für Werbung und Medien gelangt ist, die meisten seiner Werbekampagnen oder Kunstprojekte. In Erinnerung ist die «Aktion für ein kluges Zürich», bei der er Plakate und Kleber mit Fragen in der Stadt verteilte. «Finden Sie Ihre Lebensweise nachahmenswert?», fragte er dort etwa. Inzwischen arbeitet Meyer bereits an seinem zweiten Roman: Mit der Figur Friedrich Wilhelm I. und dessen Sammelleidenschaft für Riesen bleibt er seinem Flair für Sonderlinge treu.
Weitere Lesungen:
www.herrmeyer.ch
[Buch]
Thomas Meyer
«Wolkenbruchs wunderliche Reisein
die Arme einer Schickse»
272 Seiten
(Salis 2012).
[/Buch]