Auf den ersten Schock folgte die Lust, dieses Jahr mal alles umzukrempeln. «Die Rahmenbedingungen derart radikal verändern? Das hätten wir sonst wohl nie gemacht», sagt der künstlerische Leiter Matthias von Hartz. Den Corona-bedingten Einschränkungen zum Trotz schwärmt er von Projekten, die sich erst aus dieser speziellen Situation ergaben: «Eine grossartige Arbeit wie die Opernperformance ‹Sun & Sea› von der letzten Biennale in Venedig wäre nie in Zürich zu sehen gewesen, wenn die Umstände es nicht verunmöglicht hätten, die Werft wie üblich zu bespielen.» Nun wird in der Werft ein künstlicher Strand mit Badegästen inszeniert, an dem 20 singende Performer den Tourismus und den Umgang mit der Natur persiflieren.
Üblicherweise tummeln sich rund 150 000 Menschen auf der Landiwiese am Theaterspektakel, und die Künstler reisen aus aller Welt an. Unmöglich in Corona-Zeiten. An eine Absage haben von Hartz und sein Team dennoch nie gedacht. «Unsere zentrale Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Kunst ihren Weg zum Publikum findet», sagt er. Klar war für ihn auch: «Digitale Formate befriedigen unser Bedürfnis nach Zusammensein für Kunst nur begrenzt.»
Wie können Projekte von Kulturschaffenden, die nicht anreisen dürfen, dennoch vor Ort stattfinden? Ein Beispiel für kreative Lösungen ist das Radioballett «Zerstreuung überall» von zwölf Choreografen aus allen Kontinenten: Sie haben der deutschen Gruppe Ligna Worte und Bewegungsanweisungen für ein interaktives Hörspiel geschickt, welches das Publikum an öffentlichen Plätzen in Zürich ausprobieren kann.
Übers Ohr fesselt auch die Reihe «Collective Radio Listening». Das Publikum versammelt sich in Kleingruppen auf Picknickdecken auf der Landiwiese um je ein Radio herum und lauscht den Geschichten und der Musik der abwesenden Künstler.Nebst der US-amerikanischen Performerin Laurie Anderson ist der namibische Künstler Nashilongweshipwe Mushaandja mit seiner Band Tschuk Tschuk zu hören. «Mit viel Musik und Dokumenten aus dem Afrika-Archiv in Basel erzählt er eine Geschichte über das koloniale Erbe Namibias – und was das mit uns zu tun hat», führt von Hartz aus.
Tanzen vor der LED-Wand von William Forsythe
Der US-amerikanische Choreograf William Forsythe hat seine Bühnenproduktion «City of Abstracts» fürs Theaterspektakel in Zusammenarbeit mit der Stadtentwicklung Zürich ausgebaut. Seine interaktive Videoinstallation fährt auf einem Glastransporter durch die Stadt und bringt die Zürcher in Bewegung – wer sich der LED-Wand nähert, sieht sich selbst in spiralförmigen, gestreckten und sich teilender Körpern. Wird die Zuschauermenge zu gross, fährt die Installation einfach zur nächsten Station weiter.
Den quirligen Festivalbetrieb auf der Landiwiese der vergangenen Jahre – mit Kulinarik und Strassenkünstlern aus aller Welt – wird es in diesem Jahr zwar nur in reduzierter Form geben, aber dafür ist für Theaterluft in der ganzen Stadt gesorgt.
Zürcher Theaterspektakel
Do, 13.8.–So, 30.8.
Viele Veranstaltungen sind kostenlos, Reservation erforderlich: www.theaterspektakel.ch