Theater/Podcast: Angeklagt und weggesperrt
Das Theater Marie geht in einem Theaterstück und einem Podcast der «Giftmörderin von Suhr», einem mysteriösen Fall aus dem Jahr 1929, auf die Spur.
Inhalt
Kulturtipp 06/2020
Babina Cathomen
Sie ist 16-fache Mutter, Bäuerin auf ihrem eigenen Hof im Aargau, Wahrsagerin und Pflegerin: Die 1862 geborene Verena Lehner ist eine viel beschäftigte Frau, hat sich von der Taglöhnerin zur Hausbesitzerin hochgearbeitet. Ihr Mann ist ein Trinker, und sie muss Geld dazuverdienen, indem sie Ratsuchenden die Karten legt oder kranke und alte Menschen auf ihrem Hof im Suhrer Ryntel betreut. In der Gegend ist sie so geachtet wie gefürchtet, wird teilweise als Hexe ver...
Sie ist 16-fache Mutter, Bäuerin auf ihrem eigenen Hof im Aargau, Wahrsagerin und Pflegerin: Die 1862 geborene Verena Lehner ist eine viel beschäftigte Frau, hat sich von der Taglöhnerin zur Hausbesitzerin hochgearbeitet. Ihr Mann ist ein Trinker, und sie muss Geld dazuverdienen, indem sie Ratsuchenden die Karten legt oder kranke und alte Menschen auf ihrem Hof im Suhrer Ryntel betreut. In der Gegend ist sie so geachtet wie gefürchtet, wird teilweise als Hexe verschrien.
Sicht auf eine unkonventionelle Frau
Eine Art Hexenprozess wird Verena Lehner dann auch gemacht, als sie 1929 vor Gericht steht. Sie soll zwei ihrer Kostgänger mit Arsen vergiftet und Urkundenfälschung begangen haben. Die Taten wird sie zeitlebens abstreiten. Aber die Medien stürzen sich auf die Geschichte, Hunderte von Schaulustigen verfolgen den Prozess im Gerichtssaal in Aarau. Trotz dürftiger Beweislage wird Verena Lehner verurteilt. Sie wird den Rest ihres Lebens im Gefängnis und in der Psychiatrie verbringen.
Mit dieser wahren Geschichte, die bereits Kurt Badertscher in seinem Buch «Giftmord» dokufiktional aufarbeitete, beschäftigt sich das Aargauer Theater Marie. Ariane Koch geht in ihrem Theaterstück «Verdeckt» auf das Schicksal der angeblichen Giftmörderin ein, das sie «auf der Schwelle zwischen bereits damals rückständigen Hexenprozessen und der sogenannten aufgeklärten Moderne» ansiedelt. Aus heutiger feministischer Sicht blickt sie auf diese unkonventionelle Frau, die in einer konservativen Gesellschaft selbstbestimmt ihren Weg ging und damit nicht in das Frauenbild der damaligen Zeit passte. Die beiden Schauspielerinnen Nadine Schwitter und Sandra Utzinger umkreisen diese Figur, verbinden im Stück Faktisches mit Hypothetischem.
Parallel zu den Theaterproben unter der Regie von Olivier Keller entsteht ein Podcast aus dem Genre «True Crime». Während das Stück die Geschichte auf szenische und lyrische Weise umsetzt, recherchiert der Theatermusiker und Journalist Pascal Nater die Fakten des historischen Falls: Anhand von Zeitungsberichten, Prozessakten und Gesprächen mit Dorfbewohnern geht er dem «Moloch von Thesen, Aussagen und Gerüchten» auf die Spur. So spricht er etwa mit der Ururenkelin der mutmasslichen Mörderin oder mit dem Schriftsteller Kurt Badertscher, der selbst in Suhr aufgewachsen ist und von der Geschichte erstmals von seiner Grossmutter vernommen hat. Und zusammen mit der Autorin Ariane Koch öffnet Nater den Blick auf heutige gesellschaftliche Ausgrenzung und Verfolgung. Daraus entsteht ein vielstimmiger Podcast «irgendwo zwischen Hörspiel und Dokumentarfilm für die Ohren», der auch immer wieder Szenen aus dem Theaterstück einfliessen lässt und die Neugier auf die Inszenierung weckt.
Theater
Verdeckt
Premiere: Sa, 29.2.
Theater Tuchlaube Aarau
Tourneedaten: www.theatermarie.ch
Podcast
Die Giftmörderin von Suhr
www.kanalk.ch > podcasts > die-giftmoerderin-von-suhr
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