Mother T.-Rex, der Name hat Biss. Entstanden ist er aus einer «Mischung zwischen Mutter Theresa und Raubtier», wie Schauspielerin Grazia Pergoletti erzählt. Mit Biss wollen sie auch ihr erstes gemeinsames Theaterstück angehen, das sich mit Themen beschäftigt, die alle betreffen: das Altern, das unaufhaltbare Schwinden der Zeit und die Verwandlungen, die der Mensch im Lauf der Jahre durchmacht. Genau ein Jahrzehnt trennt die vier Schweizer Schauspielerinnen jeweils voneinander – von der 1954 geborenen Catriona Guggenbühl bis zur 1984 geborenen Anne Haug. Ihre unterschiedlichen Auffassungen und Erfahrungen nutzen sie im gemeinsamen Projekt «Metamorphosen oder die Struktur der mittleren Jahre».
Kluften und Gemeinsamkeiten
In Bern sind die Proben in vollem Gang. Auf der Bühne hat sich ein heftiger Disput über das Facebook-Zeitalter entwickelt. Die 63-jährige Catriona Guggenbühl sieht darin vor allem eine Ablenkungsstrategie und seufzt: «Schade, dass man nicht mehr Zeit hat für die Langeweile.» Die zwei Jahrzehnte jüngere Vera von Gunten erwidert: «Sag jetzt noch, die Leute reden nicht mehr miteinander – das macht mich wütend.» Facebook sei schliesslich auch ein Informationskanal. Pragmatisch sieht es Anne Haug, die Jüngste im Bunde, die das soziale Netzwerk gezielt als Werbeplattform nutzt. Die 53-jährige Grazia Pergoletti wiederum pflegt mit ihren zahlreichen Facebook-Freunden einen losen Kontakt und ist der Ansicht: «Ihr nehmt das viel zu ernst.»
Der Umgang mit dem Internet ist einer von vielen Aspekten, die Generationenunterschiede spürbar machen. In langen Gesprächen mit der Regisseurin Marie Bues und dem Dramaturgen Martin Bieri haben sich die vier Schauspielerinnen mit solchen Kluften – und Gemeinsamkeiten – auseinandergesetzt. In ihrem Stück verhandeln sie den Tod, Langeweile, Widerstand oder Erfolg. Themen also, die in jeder Lebensphase einen anderen Stellenwert haben und in jeder Generation mit anderen gesellschaftlichen Hintergründen verknüpft sind. Kritisch hinterfragen sie Klischees: Etwa die Weisheit im Alter oder die Vorstellung, dass in jungen Jahren alles leicht von der Hand geht.
Ovids «Metamorphosen» als Grundlage
Über allem steht Ovids in der Antike entstandenes Monumentalwerk «Metamorphosen», aus dem die Schauspielerinnen immer wieder rezitieren. Ovids Text soll eine distanziertere Sicht auf die persönlichen Erinnerungen, Prägungen und Zukunftsvisionen ermöglichen, wie Martin Bieri sagt. Rund 250 Sagen verarbeitete der römische Dichter in den 15 Büchern der «Metamorphosen», in denen sich Menschen durch Götter in Tiere, Pflanzen oder Sternenbilder verwandeln.
Von den Metamorphosen der Menschen im alltäglichen Leben erzählen die vier Theatermacherinnen und fragen, wie jemand zu dem geworden ist, was er heute ist. Auf der Bühne wuchert ein Garten – Paradies und Friedhof in einem, Sinnbild für das Wachsen und Vergehen: Zwischen rotglänzenden Erdbeeren, Lilien, gelben Blütenstauden und sattem Grün geben die Schauspielerinnen Einblick in ihre Erfahrungen mit der Vergänglichkeit. Gemäss Ovid, der Kindheit, Jugend, mittlere Jahre und Alter den vier Jahreszeiten zuordnete, stehen sie alle im Herbst des Lebens. Bei der 33-jährigen Anne Haug ist er laut antiker Zeitrechnung erst angebrochen, bei der 63-jährigen Catriona Guggenbühl geht er bereits Richtung Winter.
Schneller Wandel im Theater
Jede der vier ist in einer anderen Welt aufgewachsen, zumal sich im 20. Jahrhundert die technischen und gesellschaftlichen Verhältnisse rasant verändert haben. Während die Älteren sich noch für Frauenrechte und Freiräume engagiert haben, sind diese für die beiden Jüngeren eine Selbstverständlichkeit.
Auch das Theater war einem schnellen Wandel unterworfen – die vier decken die Epochen von den Anfängen des Marthaler-Theaters über die freie Theaterszene bis zur zeitgenössischen Performance ab. «Mit dem dokumentarischen Performance-Theater habe ich bisher wenig zu tun gehabt – es ist neu für mich, dass ich als Catriona auf der Bühne stehe», sagt etwa Guggenbühl, die jahrzehntelang mit dem Regisseur Christoph Marthaler gearbeitet hat. Die unterschiedlichen Auffassungen zur Theaterästhetik fliessen nun in die Inszenierung ein.
Die bitteren und die grotesken Seiten
Den Soundtrack zum Stück liefert Christine Hasler, die live auf der Bühne mit Gesang, Gitarre und elektronischer Musik dem Abend den Rhythmus vorgibt. So macht sie etwa das Wachsen der Pflanzen hörbar, und sie übersetzt Themen der Schauspielerinnen oder aus den «Metamorphosen» musikalisch.
«Wir wollen nichts erklären: In einigen unserer Gedanken werden sich die Zuschauer wiedererkennen. Und etwas vermeintlich Individuelles stellt sich vielleicht als Generationenfrage heraus», sagt Regisseurin Marie Bues. Die bitteren oder die grotesken Seiten des Alterns: Auch diese will Mother T.-Rex auf der Bühne verhandeln und dabei zubeissen – mal schmerzhaft, mal spielerisch.
Metamorphosen oder die Struktur der mittleren Jahre
Do, 9.2.–Mi, 15.2. Schlachthaus Theater Bern
Fr, 17.2.–Fr, 24.2. Neues Theater, Dornach-Arlesheim SO/BL